Leitsatz
1. Wird ein Erbscheinsantrag auf ein Testament gestützt, das ersichtlich unvollständig ist, da aus der Urkunde ein Teil des Textes herausgeschnitten wurde, so ist zu prüfen, ob sich der fehlende Teil rekonstruieren lässt. Dahinstehen kann der fehlende Textbestandteil nur, wenn sich feststellen lässt, dass die Ausschneidung von dem Erblasser oder auf seine Veranlassung vorgenommen wurde, da dann regelmäßig von einem teilweisen Widerruf auszugehen ist.
2. Lässt sich nach Durchführung der nach den §§ 2358 BGB, 12 FGG gebotenen Ermittlungen weder der Inhalt des fehlenden Textbestandteils noch die Urheberschaft des Erblassers hinsichtlich der Veränderung feststellen, geht dies zulasten desjenigen, der sein Erbrecht auf die letztwillige Verfügung stützen will. Denn er trägt die materielle Feststellungslast für den gesamten Inhalt des Testaments.
OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 2007 – 15 W 331/06
Sachverhalt
Die Erblasserin war nicht verheiratet und hat keine Abkömmlinge hinterlassen. Von ihren fünf Geschwistern war ihr Bruder I C vorverstorben. Er hat drei Kinder hinterlassen, nämlich die Beteiligten zu 1), 2) und 5). Ebenfalls vorverstorben, jedoch ohne Abkömmlinge, war der unverheiratete Bruder der Erblasserin B C. Die Schwestern I2 und F C sind während der Anhängigkeit des vorliegenden Verfahrens verstorben ohne Abkömmlinge zu hinterlassen. Ebenso ist der weitere Bruder der Erblasserin, F2 C, während des vorliegenden Verfahrens verstorben. Er ist von seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 3), beerbt worden.
Die unverheirateten Geschwister, also B, F und I2 C sowie die Erblasserin haben Anfang der 80er-Jahre aufgrund einer formlosen Übereinkunft jeweils privatschriftliche Testamente errichtet, durch die sie die anderen der unverheirateten Geschwister zu Miterben einsetzten. Aufgrund dieser Testamente wurde B C durch seine drei Schwestern und F2 C durch ihre Schwester Erna beerbt. Das Testament, das die Erblasserin in diesem Zusammenhang errichtet hat, ist nicht mehr auffindbar.
Unter dem 29.10.2002 errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament, das, soweit die Urkunde noch existent ist, folgenden Text hat:
Zitat
“... Hiermit setze ich ...
meine Neffen I3 C, M2, T Str. ... H C, C2, N-Straße ... jeweils zur Hälfte zu Erben ein ...“
Die Urkunde, die auf einem linierten DIN-A4-Blatt niedergeschrieben ist, ist insoweit unvollständig, als der zwischen den Textteilen "Hiermit setze ich" und "meine Neffen" ein Teil des Blattes im Umfang von etwas mehr als einer Zeile mittels eines scharfen Werkzeugs herausgeschnitten wurde.
Mit notariellem Schreiben vom 14.5.2003 reichten die Beteiligten zu 1) und 2) die Testamentsurkunde zwecks Eröffnung beim Nachlassgericht ein. Zugleich beantragten sie die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie als Miterben zu 1/2 ausweisen soll.
Das Nachlassgericht hat durch Vorbescheid vom 4.11.2003 die antragsgemäße Erteilung eines Erbscheins angekündigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass keine Zweifel bestünden, dass die Veränderung der Urkunde durch die Erblasserin vorgenommen worden sei. Ihrer Art nach ergebe sich aus der Veränderung kein Widerruf, sondern lediglich eine Abänderung der letztwilligen Verfügung.
Gegen den Vorbescheid haben die Beteiligten zu 3) und 4) Beschwerde erheben lassen. Das LG hat den Vorbescheid aufgehoben. Auf die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) hat der Senat die landgerichtliche Entscheidung aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Nach Durchführung weiterer Ermittlungen hat das LG den Vorbescheid wiederum aufgehoben. Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 1) und 2) mit ihren weiteren Beschwerden.
Aus den Gründen
In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, da die Entscheidung des LG nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).
Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde steht aufgrund der Entscheidung des Senats vom 15.3.2005 bindend fest. Der Senat weist in diesem Zusammenhang bezugnehmend auf den Vortrag der weiteren Beschwerden unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses lediglich darauf hin, dass gegen die Erteilung eines Vorbescheides derjenige nach § 20 Abs. 1 FGG beschwerdebefugt ist, der für sich ein Erbrecht in Anspruch nimmt, das in dem angekündigten Erbschein keine Berücksichtigung finden würde. Im Hinblick auf die Doppelrelevanz dieser erbrechtlichen Stellung erfolgt ihre Prüfung im Rahmen derjenigen der Begründetheit des Rechtsmittels (Keidel/Kahl, FG, 15. Aufl., § 20 Rn 18). Die Beteiligte zu 3) nimmt hier ein gesetzliches Erbrecht ihres Rechtsvorgängers für sich in Anspruch, indem sie die Wirksamkeit des Testaments vom 29.10.2002 in Zweifel zieht. Daraus leitet sich ihre Beschwerdebefugnis hinreichend ab. Denkbar ist zwar, dass der Rechtsvorgänger der Beteiligten zu 3) durch ein früheres Testament der Erblasserin (vom 22.12.1980) von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist. Die Beteiligte zu 3) sieht dieses Testament jedoch als widerrufen an, zumal es nicht mehr aufgefunden werden konnte. Hinzu kommt, da...