Die besondere Bedeutung dieser für die amtliche Sammlung vorgesehenen Entscheidung verdeutlichen bereits die bemerkenswert zahlreichen – zumeist zustimmenden – Besprechungen.[7] Dies mag auch daran liegen, dass die erfolgte Klarstellung nicht nur für die Fälle des Rücktritts vom beurkundungspflichtigen Erbvertrag, sondern, wie gesehen, über § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB auch für den Widerruf beim gemeinschaftlichen Testament Wirkung entfaltet, also auch eine in Deutschland sehr verbreitete (notarielle wie eigenhändige) Testamentsform[8] betrifft.
Tatsächlich bringt diese Entscheidung in einer für die Praxis elementaren Frage eine lange erhoffe Rechtssicherheit – schließlich hängt die Änderung der (neuen) Verfügung von Todes wegen des zurücktretenden/widerrufenden Ehegatten mit seinen materiell-rechtlichen wie wirtschaftlichen Folgen nicht selten am seidenen Faden der "verfahrensrechtlichen" Wirksamkeit des vorherigen Widerrufes/Rücktritts. Der Berater wird im Fall der Generalbevollmächtigung[9] insb. eines Kindes nun also eine Zustellung an dieses vornehmen können.
Das "Hintertürchen", das sich der BGH durch das relativierende "grundsätzlich" gesichert hat, sollte den beratenden Anwalt/Notar vor allem dann zur Vorsicht rufen, wenn
der Zurücktretende/Widerrufende auch der Adressat der Erklärung als Vorsorgevollmachtsberechtigter sein soll (In-Sich-Geschäft; "Die Niederschrift braucht das Büro nicht zu verlassen") bzw. wenn der Bevollmächtigte ein eigenes Interesse an der Beseitigung der bindenden Verfügungen hat (Stichwort: Vollmachtsmissbrauch). Die Betreuung dürfte (nicht nur) hier den sichersten Weg darstellen; auch in sonstigen Fällen kann selbstredend auch weiterhin eine Betreuung angeregt werden.[10] Im Rahmen einer solchen Betreuerbestellung sollte dann zum einen auf eine "zeitnahe" Bestellung gedrängt und zum anderen auf den zutreffenden Aufgabenkreis geachtet werden (etwa "Vermögensangelegenheiten/sorge",[11] vgl. § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB).[12] Sofern der Betreuer explizit (nur) zum Zwecke der Entgegennahme des Widerrufs bestellt werden soll, ist (mindestens) der ausdrückliche Aufgabenkreis "Widerruf(entgegennahme)"/"Zugang des Widerrufs des Testaments" o. ä. festzulegen.[13]
Eine letzte verfahrensrechtliche Besonderheit sei an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen: Nach ganz h.M. muss der Zugang der Rücktritts- und Widerrufserklärung beim anderen Ehegatten, dem Betreuer und/oder dem Vorsorgebevollmächtigten stets in Ausfertigung der notariellen Urkunde erfolgen.[14] Eine Zustellung einer beglaubigten Abschrift genügt nicht.[15] Dies ergibt sich daraus, dass nur die Ausfertigung die Urschrift im Rechtsverkehr ersetzt und daher auch nur diese den Zugang der formbedürftigen Erklärung entsprechend § 130 BGB vermittelt (§ 47 BeurkG).[16] In der Praxis empfiehlt es sich, aus Beweisgründen (§§ 415, 418 ZPO)[17] grundsätzlich auf die Zustellung der Ausfertigung durch den Gerichtsvollzieher gem. § 132 BGB, §§ 166 ff., 171 ZPO zurückzugreifen.[18]
Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?
Jetzt kostenlos 4 Wochen testen