In der anwaltlichen Beratung kommen Fragen der Ausschlagung regelmäßig in zwei Gewändern daher. Zum einen die Frage, ob eine Ausschlagung noch möglich ist, und zum anderen, ob die Ausschlagung wirksam war.
Das Gericht zeigt in diesem Beschluss bilderbuchmäßig auf, welche Anforderungen für den Beginn der Ausschlagungsfrist gelten.
Gem. § 1944 Abs. 2 BGB beginnt die Ausschlagungsfrist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Kenntnis setzt dabei ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus. Im Fall gesetzlicher Erbfolge ist dabei Kenntnis vom Todesfall, von den Familienverhältnissen und das Nichtvorhandensein bzw. dem Wegfall vorberufener gesetzlicher Erben erforderlich (Siegmann/Höger, in: BeckOK, BGB, Stand 1.11.2021, § 1944 BGB Rn 7). Zusätzlich darf der Erbe/Ausschlagende nach den Gesamtumständen und seiner subjektiven Sicht keine begründete Vermutung haben oder haben können, dass eine ihn ausschließliche letztwillige Verfügung vorhanden ist (Siegmann/Höger, in: BeckOK, BGB, Stand 1.11.2021, § 1944 BGB Rn 4). Nach diesen Voraussetzungen ist dann bei jedem einzelnen Erbfall zu prüfen, wann die Ausschlagungsfrist begonnen hat zu laufen.
Diese Entscheidung zeigt, wie genau dabei zu prüfen ist und wie sehr es auf einzelne Tatsachen ankommen kann. Hier erfolgte die Ausschlagung mehr als sieben Monate nach dem Tod des Erblassers und die Ausschlagungsfrist hatte bis zum Zeitpunkt der Ausschlagung noch nicht begonnen zu laufen. Dies mag auf den ersten Blick überraschen.
Abgerissene Familienbande können jedoch dazu führen, dass der Erbe/Ausschlagende eine begründete Vermutung haben kann, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden ist (OLG Schleswig ZEV 2016, 698, 699 m.w.N.). Dies führte im vorliegenden Fall dazu, dass die Ausschlagungsfrist noch nicht begonnen hatte zu laufen.
Man sollte als Anwalt in Ausschlagungsfällen nicht vorschnell "die Flinte ins Korn" schmeißen. So kann es durchaus möglich sein, noch viele Monate, teilweise sogar Jahre, nach dem Erbfall erfolgreich auszuschlagen.
Andersrum kann es jedoch auch dazu kommen, dass Ausschlagungen zu spät erfolgen und damit unwirksam sind (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 5.1.2022 – Az. 6 W 199/21), weil die Ausschlagungsfrist zu einem früheren Zeitpunkt zu laufen begonnen hat als von den Beteiligten angenommen. In diesen Fällen kann dann nur eine Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist erfolgen.
Bei einem Erbanfall aufgrund gewillkürter Erbfolge stellt sich diese Problematik in der Regel nicht. Zwar gilt hier für den Beginn der Ausschlagungsfrist, dass der Erbe Kenntnis von der konkreten Verfügung von Todes wegen – die "Anordnung" als solche – haben muss (Leipold, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 1944 BGB Rn 4). Jedoch beginnt der Lauf der Ausschlagungsfrist erst dann, wenn das Nachlassgericht die Verfügung mündlich oder schriftlich an den Erben bekannt gegeben hat (§ 1944 Abs. 2 S. 2 BGB, § 348 Abs. 2, 3 FamFG). Gem. § 348 Abs. 3 FamFG hat die Bekanntgabe jedoch schriftlich zu erfolgen. In der Praxis lässt sich deshalb bei gewillkürter Erbfolge der Lauf der Ausschlagungsfrist sehr genau berechnen, da die Bekanntgabe erst dann erfolgt ist, wenn dem Erben/Ausschlagenden die letztwillige Verfügung vom Nachlassgericht zugegangen ist.
Die Entscheidung des Gerichts schließt sich vorherigen Entscheidungen anderer Obergerichte an und bestätigt, dass abgerissene Familienbande für den Erben/den Ausschlagenden die Vermutung begründen können, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorliegt. Diese Problematik dürfte in den kommenden Jahren von zunehmender Bedeutung sein. In der vergangenen Zeit nehmen die Fälle von Kindern, die keinen oder sehr wenig Kontakt zu einem Elternteil haben, immer mehr zu.
Jan Hindahl, Rechtsanwalt, zertifizierter Testamentsvollstrecker (DVEV) und zertifizierter Stiftungsberater (FSU Jena), Celle.
ZErb 4/2022, S. 146 - 147