Bei der Anfechtung des Testaments nach § 2079 BGB ist die Jahresfrist des § 2082 Absatz 1 BGB zu beachten. Diese beträgt ein Jahr und beginnt grundsätzlich mit der Kenntnis vom Anfechtungsgrund. Hierbei ist die Kenntnis aller für die Anfechtung wesentlichen Tatumstände erforderlich. Die Unkenntnis einer Tatsache kann dabei auch auf einem Rechtsirrtum beruhen (BayObLG NJW-RR 1997, 1027). Diese Ausdehnung des Anfechtungstatbestandes auf Fälle des Rechtsirrtums führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu weiteren Anfechtungsfällen. Die in diesem Falle für die Anfechtung relevanten Tatsachen sind, wie hier bei einer erneuten Heirat und damit dem Zutritt eines weiteren Pflichtteilsberechtigten, der Tod der ersten Ehefrau (1), die Annahme der Erbschaft nach deren Tod (2), die Tatsache der Wiederverheiratung (3) und das Vorhandensein des gemeinschaftlichen Testaments mit der Schlusserbeneinsetzung (4)(BayObLG FamRZ 1995, 1024).
Ein Rechtsirrtum berechtigt allein nicht zur Anfechtung, sondern ist nur beachtlich, wenn er die Unkenntnis einer die Anfechtung begründenden Tatsache zur Folge hat, also dem Inhaltsirrtum vorgeschaltet ist. Der Rechtsirrtum ist hingegen unbeachtlich, wenn es sich um die rechtsirrtümliche Beurteilung des Anfechtungstatbestands selbst handelt. Es ist dann eine unbeachtliche Fehlbeurteilung des Anfechtungstatbestands, wenn der Anfechtungsberechtigte alle für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen kennt, aber nicht weiß, dass ihm deshalb ein Anfechtungsrecht zusteht (MüKoBGB/Musielak 5. Auflage § 2283 Rn 4).
Im hiesigen Fall ging der Erblasser nach Vortrag der Ehefrau davon aus, er könne gegen das gemeinschaftliche Testament selbst nichts mehr unternehmen. Dies ist ein unbeachtlicher Rechtsirrtum.
Der Rechtsirrtum ist daher nur relevant, wenn der Erblasser die Gültigkeit der anzufechtenden Verfügung irrtümlich verneint und die Verfügung daher für unwirksam hält. Maßgebend ist daher nur die Vorstellung des Erblassers über die Ungültigkeit der Verfügung und der Umstand, dass der Erblasser aufgrund dieses Irrtums keinen Anlass sah, dieses Ergebnis zu ändern (vgl. MüKoBGB/Musielak 5. Auflage § 2082 Rn 5 und 7).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung des BayObLG vom 2. Mai 2002 Az 1Z BR 24/01 in ZErb 2002, 294 besser einzuordnen. Darin wird die Möglichkeit der Anfechtung bei Irrtum über die Bindungswirkung als Anfechtungsgrund angesprochen, aber letztlich nicht darüber entschieden. In der Rechtslehre wird vertreten, dass auch das gemeinschaftliche Testament nach § 2078 Absatz 1 BGB angefochten werden kann, wenn der Erblasser die irrige Vorstellung hatte, er könne auch wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tod seines Ehegatten frei widerrufen (AK-BGB/Finger § 2078 Rn 12, Pfeiffer FamRZ 1993, 1266, 1271). Letztlich wird dabei der Anwendungsbereich des § 2078 BGB erweitert, die Wertung bleibt aber erhalten. Der Erblasser geht auch hier davon aus, die Gültigkeit der ursprünglichen Verfügung läge nicht mehr vor und er könne dementsprechend neu testieren. Damit entfällt das oben genannte Kriterium Ziffer 4, der Erblasser irrt über die Tatsache eines gültigen ihn bindenden Testaments.
Christian Winter, Rechtsanwalt und FAErbR, Asfour Rechtsanwälte, Bad Homburg