Leitsatz
1. Erfolgt eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich", ist für die Pflichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß den §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte.
2. Ausschlaggebend für den Willen des Erblassers ist, ob mit seiner Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung festgelegt (Anrechnung) oder aber nur klargestellt werden sollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll (Ausgleichung).
3. Genügen Erben im Rahmen ihrer Darlegungs- und Beweislast – soweit ihnen möglich – konkret, zum Wert der Zuwendung vorzutragen, obliegt es dem Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der ihn treffenden Auskunftspflichten diesem Vorbringen seinerseits substanziiert zu entgegnen.
BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 – IV ZR 91/09
Sachverhalt
Der Kläger macht gegen seine Schwester (Beklagte zu 1) und deren Kinder (Beklagte zu 2 und 3) Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der 2005 verstorbenen Mutter bzw. Großmutter der Parteien (Erblasserin) geltend.
Mit Vertrag vom 31. Dezember 1981 (Übergabevertrag) übertrug die Erblasserin mit Wirkung zum 1. Januar 1982 den 1965 von ihrem Ehemann (Vater bzw. Großvater der Parteien) geerbten und seitdem von ihr betriebenen Großhandel für Herrentextilien und Herrenaccessoires auf den Kläger. Die Übertragung erfolgte gemäß Nr. 7 des Übergabevertrags "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich".
Der Kläger führte den Betrieb bis 1996 fort. Durch notarielles Testament vom 4. Januar 1985 setzte die Erblasserin die Beklagten zu ihren Erben ein. Der Kläger berechnet seinen Pflichtteil zuletzt auf 190.742,98 EUR nach einem aufgrund erstinstanzlicher Beweisaufnahme von ihm angenommenen Nachlasswert von 762.871,93 EUR; hinzu komme eine Pflichtteilsergänzung in Höhe von 5.965 EUR aufgrund einer Schenkung der Erblasserin an die Beklagte zu 3 über 23.859,44 EUR.
Die Beklagten sind der Auffassung, dem Kläger stünden wegen der Übertragung des Großhandelsbetriebs und wegen umfangreicher nach § 2057a BGB auszugleichender Sonderleistungen keine erbrechtlichen Ansprüche mehr zu. Nach Ansicht des Klägers hat dagegen der Betrieb bei Übertragung keinen Wert gehabt.
Beide Vorinstanzen haben unter Berücksichtigung der Betriebsübertragung 1981 die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.
Aus den Gründen
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hält den Kläger wegen der ihm im Wege "vorweggenommener Erbfolge" übergebenen Firma nach den §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB für ausgleichspflichtig. Mit Rücksicht darauf könnten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht festgestellt werden, selbst wenn zu seinen Gunsten von einem Nachlasswert von 762.871,93 EUR ausgegangen und keine Ausgleichung besonderer Leistungen der Beklagten zu 1 nach § 2057a BGB vorgenommen werde.
Der Kläger habe den Vortrag der Beklagten, er habe bezogen auf den Todestag der Erblasserin mit dem ihm übertragenen Betrieb einen Vorempfang in Höhe von 400.000 EUR bis 450.000 EUR erhalten, nicht substanziiert bestritten. Zwar treffe die Beklagten die Beweislast für das Bestehen von Ausgleichspflichten. Der Kläger trage aber eine sekundäre Darlegungslast für den Wert der Zuwendung im Umfang seiner Auskunftspflicht gemäß § 2057 BGB. Der habe er nicht genügt, weil er die Unterlagen, die zur Feststellung des Unternehmenswerts mit betriebswirtschaftlicher Methode notwendig seien – vor allem die Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der letzten fünf Jahre vor dem Betriebsübergang – nicht vorgelegt habe.
Sein Vortrag, er sei niemals im Besitz dieser Unterlagen gewesen, sei unglaubhaft. Selbst wenn ihm aber heute in Ermangelung weiterer noch vorhandener Unterlagen eine Substanziierung des Unternehmenswerts nicht möglich sein sollte, müsse ihm wegen schuldhafter Beweisvereitelung die Beweislast für einen die Klageforderung zumindest teilweise rechtfertigenden Wert der Zuwendung auferlegt werden. Eine Schätzung des Unternehmenswerts gemäß § 287 ZPO sowie weitere Sachaufklärung durch Vernehmung des Steuerberaters oder Einholung eines Sachverständigengutachtens scheide in Ermangelung belastbarer Anknüpfungstatsachen aus.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Bereits der Ansatz des Berufungsgerichts, der Kläger könne bei unentgeltlichen Zuwendungen im Wege der "vorweggenommenen Erbfolge" – nur – gemäß § 2316 Abs. 1 BGB iVm § 2050 Abs. 3 BGB ausgleichspflichtig sein, ist nicht frei von Rechtsirrtum. Das Berufungsgericht schließt damit die weiteren vom Gesetz in §§ 2315 Abs. 1 und 2316 Abs. 4 BGB vorgesehenen Möglichkeiten, wie Vorempfänge bei der Ermitt...