Prof. Dr. Werner Zimmermann
Einführung
Es ist geplant, dass jedes Bundesland nach eigenem Gutdünken die Aufgaben der Nachlassgerichte auf Notare übertragen oder aber den jetzigen Zustand belassen kann. Einer solche Regelung würde dem Bürger schaden, den Notaren allerdings nützen.
1. Das Gesetzesvorhaben
Um 2003 tauchte der Gedanke auf, nachlassgerichtliche Aufgaben auf Notare zu übertragen; die Sache wurde dann im Stillen weiterverfolgt. Auf Initiative der Länder Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hat der Bundesrat am 14.3.2008 den Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare beschlossen. Als Begründung wird angegeben, dass dies zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz erforderlich sei; die Justiz müsse sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Tatsächlich dürfte es darum gehen, dass der Staat über die Umsatzsteuer Mehreinnahmen haben will und dass das Einkommen der Notare, die unter dem Rückgang der Baukonjunktur zu leiden haben, erhöht wird.
Dem § 72 FGG, wonach die Amtsgerichte Nachlassgerichte sind, sollen zwei Absätze angefügt werden: (2) Die Länder können durch Gesetz bestimmen, dass für die den Nachlassgerichten obliegenden Verrichtungen anstelle der Amtsgerichte Notare zuständig sind. Im Falle der Übertragung nach Satz 1 können durch Landesrecht ergänzende Zuständigkeitsregelungen getroffen werden. (3) Wird ein Notar anstelle des Nachlassgerichts tätig, so sind die für das Nachlassgericht geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Aufgaben des Richters und des Urkundsbeamten der Geschäftstelle werden vom Notar wahrgenommen. Geschäftsstelle sind die Geschäftsräume des Notars ...“
Bevor dies Gesetz werden kann, muss allerdings wegen Art. 33 Abs. 4 GG ("Funktionsvorbehalt") noch das Grundgesetz geändert werden (Einfügung von Art. 98 a GG: "Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit können durch Gesetz auf Notare übertragen werden."), was bereits eingeleitet ist. Nach Art. 92 GG ist allerdings die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut und nicht den Notaren. Da aber Erbscheine nicht abschließende, rechtskraftfähige Entscheidungen darstellen, soll Art. 92 GG nicht berührt sein. Das halte ich für nicht überzeugend, weil der Erbschein im Rechtsverkehr wie ein Urteil behandelt wird. Wer in einer schwierigen Frage der Testamentsauslegung entscheidet, spricht faktisch Recht.
Sollte dieses Vorhaben Gesetz werden, dann gibt es in den Ländern, die von der Ermächtigung Gebrauch machen, keine Abteilung "Nachlassgericht" beim Amtsgericht mehr; die Notare sind dann für sämtliche Aufgaben zuständig, für Erbscheinsverfahren, für Testamentseröffnungen, Bestellung und Kontrolle von Nachlasspflegern, Entlassung von Testamentsvollstreckern aus wichtigem Grund usw. Bei einer Bevölkerung von 82 Millionen und jährlich 822.000 Sterbefällen (2006) treffen auf jeden der rund 9.000 Notare im Bundesgebiet rechnerisch ca. 90 Erbfälle; da oftmals aber weder ein Erbschein benötigt noch eine sonstige Tätigkeit des Nachlassgerichts erforderlich ist, ergeben sich aus den 822.000 Sterbefällen nur 400–500.000 Nachlassverfahren. Im Bereich des Anwaltsnotariats ergibt sich also viel weniger neuer Geschäftsanfall als im Bereich des Nurnotariats.
2. Die Sicht der Beteiligten
a) Staatskasse
Durch eine Übertragung der Aufgaben auf die Notare würde der Staat zusätzlich die Umsatzsteuer von 19 % auf die Gebühren einnehmen, die die Notare in Rechnung stellen müssen (das Nachlassgericht erhebt dagegen keine Umsatzsteuer auf die Gebühren, weshalb z. B. die im Erbscheinsverfahren beim Notar abgegebene eidesstattliche Versicherung – § 2356 Abs. 1 BGB – schon jetzt um mindestens 19 % teurer ist als bei Abgabe beim Nachlassgericht). Ferner fällt zusätzliche Einkommensteuer (zuzüglich Solidaritätszuschlag) aus dem Mehreinkommen der Notare an.
Andererseits fällt der Überschuss weg, den die Nachlassgerichte derzeit erwirtschaften (die eingenommenen Gebühren sind höher als der Personal- und Sachaufwand der Nachlassgerichte).
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, weil sie nicht veröffentlicht werden.
Wenn die Tätigkeit der Nachlassgerichte insgesamt verlustreich wäre, wären die Notare sicher nicht bereit, aus Gefälligkeit diese Last dem Staat abzunehmen.
b) Notare
2.2.1 aa)
Es gibt in Deutschland historisch bedingt verschiedene Notariatsverfassungen: (1) In Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Thüringen und Bayern gibt es ausschließlich Nurnotare. (2) In Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt es ausschließlich Anwaltsnotare. (3) In Nordrhein-Westfalen gibt es in bestimmten Bezirken Nurnotare, in anderen Bezirken Anwaltsnotare. (4) In Baden-Württemberg ist die Lage verwirrend: Je nach Region gibt es hauptberufliche Notare, Anwaltsnotare, beamtete Notare (Bezirksnotare) oder Amtsnotare. Die Bezirksnotare und Amtsnotare sind dort auch als Nachlassrichter tätig.
Die geplante Regelung (Notar als Nachlassrichter...