Nochmals: Vorstehende Aussagen resultieren aus einer Dissertation aus dem Jahr 2012, die regelmäßig zitiert wird, wenn im aktuellen Diskurs (überhaupt einmal) psychologische Faktoren thematisiert werden. Neuere Werke aus Deutschland scheint es nicht zu geben, haben einen breiten juristischen Diskurs jedenfalls noch nicht erreicht. Auch statistische Ansätze – die sehr zu begrüßen sind – sind rar und so basieren aktuelle Stellungnahmen größtenteils auf eigenen Erfahrungen und anekdotischer Evidenz. Beides kann – auch wenn in "vielen Verfahren" erworben – eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung nicht ersetzen. Es gibt keine breit angelegte und ernstzunehmende Studie dazu, welche der vorgenannten (potenziell negativen und positiven) psychologischen und kommunikativen Effekte überwiegen und wie sie sich konkret in einem deutschen Zivilprozess auswirken. Damit gibt es auch keine belastbaren Daten dazu, ob die beobachteten und beschriebenen Faktoren konkret statistisch relevante Auswirkungen haben, etwa auf den Abschluss von Vergleichen und das subjektive Empfinden (Zufriedenheit) der Parteien. Handelt es sich bei kritischen Einschätzungen zur mangelnden Eignung in erbrechtlichen Verfahren möglicherweise doch um ein Vorurteil oder sind die Sorgen berechtigt? Die Frage gilt es zu beantworten. Möglichkeiten und Grenzen von Videoverhandlungen sind wissenschaftlich, auf gesicherter statistischer Grundlage, aus psychologischer und soziologischer Sicht aufzuarbeiten.
Es sollte bei Gericht erfasst werden, ob in dem Verfahren eine Videoverhandlung stattgefunden hat, ob es zu einem Vergleich gekommen ist, ggf. auch, in welchem Maße hiernach eine Partei obsiegt hat, ob man sich auch über Gegenstände verglichen hat, die nicht streitgegenständlich waren, und eine Abfrage, wie zufrieden die Parteien mit dem Ergebnis auf einer Skala von 1–10 sind, erfolgen. Hindert die Videoverhandlung einen Vergleich? Lässt sie die Parteien weniger zufrieden und befriedet zurück? Wir würden uns den Antworten nähern.
Wenn sich bestätigen sollte, dass die Videoverhandlung im erbrechtlichen Bereich nur bedingt taugt, muss über Alternativen nachgedacht werden. Kommunikative Nachteile in besonders belastenden, konfliktgeladenen Streitigkeiten würden die Parteien jedenfalls möglicherweise in Kauf nehmen, wenn die Alternative darin besteht, mitunter über ein Jahr auf einen "frühen ersten Termin" zu warten, wie dies aktuell zum Teil der Fall ist.