Ein Beitrag zu § 128a ZPO aus Anwalts- und Richterperspektive
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Videoverhandlungen i.S.d. § 128a ZPO haben seit der Corona-Pandemie Konjunktur. Mit der plötzlichen Aufmerksamkeit zeigten sich auch die Mängel der Norm. Das BMJ will nachbessern und legte am 23.11.2022 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vor. Anlass für eine nähere Betrachtung.
I. Einleitung
Während die einen schon darüber nachdenken, ob ihre Schriftsätze und Urteile zukünftig von ChatGPT (Open AI) oder Bard (Google) geschrieben werden könnten, kämpfen andere noch mit der Einführung der digitalen Akte und der Versendung von beA-Nachrichten. Klar ist: Die Digitalisierung macht auch vor dem Zivilprozess nicht halt. Bereits seit 2001 sieht die ZPO die Möglichkeit von Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung vor. 2013 sollte die Vorschrift aufgewertet, sollten die Möglichkeiten zur Nutzung von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren erweitert werden. Einen erheblichen Bedeutungsgewinn – andere würden sagen, überhaupt erst Bedeutung – hat § 128a ZPO indes erst durch die Corona-Pandemie erfahren. Plastisch schreibt Windau, die "Dunkelnorm" sei "ins helle Licht" gerückt worden. Es folgen eine Bestandsaufnahme und eine Einordnung mit erbrechtlichem Fokus aus Anwalts- und Richterperspektive.
II. § 128a ZPO – Überblick de lege lata
1. § 128a ZPO
Gem. § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO kann das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung ist nach § 128a Abs. 2 S. 2 ZPO zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer zu übertragen. § 128a Abs. 2 ZPO sieht Entsprechendes für die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien vor. Dabei gilt gem. § 128a Abs. 3 ZPO: Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet und die Entscheidungen des Gerichts über die Gestattung oder Ablehnung sind unanfechtbar.
2. Voraussetzungen und aktuelle Streitfragen
a. Einverständnis der Parteien nicht erforderlich
Seit 2013 ist das Einverständnis der Parteien für den Einsatz von Videokonferenztechnik nicht mehr erforderlich. Das Gericht lässt die Videoverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen zu. Die Möglichkeit der Zulassung von Amts wegen wurde erst nachträglich auf Empfehlung des Rechtsausschusses in den Gesetzesentwurf eingefügt. Durch eine Videokonferenz – so die Begründung – könne einem Beteiligten eine weite Anreise zum Gerichtsort erspart werden. Hierdurch könnten Terminsverlegungen vermieden werden. Ein solcher Beschleunigungseffekt sollte auch von Amts wegen herbeigeführt werden können.
b. Entscheidung durch Beschluss nach pflichtgemäßem Ermessen
Die Entscheidung, ob der Einsatz von Videotechnik gestattet wird, erfolgt durch (jederzeit abänderbaren) Beschluss. Immerhin (hier spricht der Anwalt) hat das Gericht nach h.M. nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Ermessenskriterien sind nicht festgelegt. Mangelnde Fähigkeiten oder die Bereitschaft, sich mit der "neuen Technik" auseinanderzusetzen, und eine mangelnde technische Ausstattung der Gerichte werden als Erwägungsgründe aktuell ebenso in Betracht gezogen wie ungeklärte Rechtsfragen und psychologische Gesichtspunkte, die für ein persönliches Aufeinandertreffen sprechen könnten. Eine bessere empirische Datenlage wäre – hierauf kommen wir zurück – wünschenswert. Begründen muss das Gericht seine Entscheidung nach aktueller Rechtslage freilich nicht. Die Entscheidung ist als prozessleitende Maßnahme auch nicht isoliert anfechtbar. Eine Überprüfung auf Rechtsfehler innerhalb des Rechtsmittels gegen die Endentscheidung ist trotz des Ermessens des Gerichts nicht ausgeschlossen, praktisch aber überaus schwierig (auch weil es sehr schwer nachzuweisen sein dürfte, dass die Endentscheidung auf Fehlern bei der Anwendung von § 128a ZPO beruht). Überlegungen zu einer Ermessensreduktion auf Null in bestimmten Fällen (etwa bei vorhandener technischer Ausstattung) haben daher de lege lata nur einen bedingten praktischen Nutzen.