„Schon heute Nachhaltigkeitsmaßnahmen für morgen entwickeln“
Herr Luthardt, die Bohlsener Mühle hat den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bereits zum zweiten Mal gewonnen. Was hat sich für Sie seit dem ersten Mal an der Relevanz des Preises geändert?
Philip Luthardt: Ich bin 2016 als Nachhaltigkeitsmanager zur Bohlsener Mühle gekommen und habe das Nachhaltigkeitsmanagement nach dem ersten Gewinn des Deutschen Nachhaltigkeitspreises aufgebaut. Davor war das Unternehmen bereits intrinsisch motiviert und es wurde sehr viel gemacht, aber nicht systematisch. Seitdem hat sich im Bereich Nachhaltigkeit viel getan, vor allem die Anforderungen an die Berichterstattung sind deutlich gestiegen. Der Award trägt diesen Anforderungen mit seiner weiterentwickelten Methodik Rechnung. Auch die Bekanntheit des Preises ist mit der gesellschaftlichen Relevanz des Themas gestiegen.
Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis wurde jetzt erstmals an 100 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und an Leuchttürme aus verschiedenen Transformationsfeldern vergeben. Schmälert diese Breite für Sie die Relevanz jeder einzelnen Auszeichnung?
Für mich wird der Preis dadurch vergleichbarer. Durch die Einteilung nach Branchen messen sich die Unternehmen nun mit anderen, die vor vergleichbaren Herausforderungen stehen. Gleichzeitig sind wir als Preisträger jetzt einer von 100 und nicht mehr einer von fünf. Trotzdem generiert der Preis insgesamt mehr Aufmerksamkeit, was positiv ist.
Nachhaltigkeit als bedrohtes Alleinstellungsmerkmal?
Als die Bohlsener Mühle startete, waren Bio und nachhaltiger Landbau noch Exoten. Heute schreibt sich jeder Discounter Nachhaltigkeit auf die Fahnen - haben Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal verloren?
Ehrliches und konsequent nachhaltiges Wirtschaften ist nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal, das steht bei uns neben der Erzeugung biologischer Lebensmittel seit jeher im Fokus. Als unser Geschäftsführer Volker Krause 1979 die Mühle übernommen hat, war der Gedanke, dass mit Bio der Umbau zu einem zukunftsfähigen, resilienten Agrar- und Ernährungssystem gelingen kann, präsent. Schon damals wussten die Pioniere, dass sich in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelverarbeitung etwas ändern muss. Heute ist dieses Bewusstsein in der Gesellschaft angekommen. Dies zeigt sich in der zunehmenden staatlichen Regulierung. Das soll einerseits die Breite der Unternehmen auf den Weg der nachhaltigen Transformation führen und gleichzeitig dem Greenwashing entgegenwirken, bringt aber auch bürokratische Hürden mit sich.
Würden Sie lieber mehr Maßnahmen entwickeln und weniger Zeit fürs Berichten einsetzen?
Seit 45 Jahren versuchen wir mit unserem Handeln, konkrete Veränderungen zu bewirken. Beispielsweise die Produktion von klimaneutraler Wärme für 80 Haushalte in unserem Dorf Bohlsen aus den Reststoffen unserer Mühle oder der Bezug von fast 100 Prozent deutschem Bio-Getreide. Die CSRD führt nun zu einem umfassenden Nachhaltigkeitsreporting und zu Tausenden neuen Nachhaltigkeitscontrollern auf dem Arbeitsmarkt. Jede Zahl, die dadurch erhoben wird, bedeutet jedoch noch keine Veränderung. Wir müssen schon heute aus den theoretischen Erkenntnissen konkrete Nachhaltigkeitsmaßnahmen für morgen entwickeln. Es geht darum, Dinge jetzt anders zu machen, denn wir haben nicht die Zeit, erst jahrelang Zahlen zu berichten und dann irgendwann zu sagen, jetzt können wir anfangen, etwas zu verändern.
Was muss passieren, damit Unternehmen vom Berichten ins Handeln kommen?
Ein wesentlicher Punkt ist die Sensibilisierung der Entscheidungsträgerinnen und -träger in den Unternehmen - da bin ich zuversichtlich. Das andere sind Finanzierungsmechanismen: Banken können treibende Kräfte sein und Gelder in die richtige Richtung lenken. Aber umgesetzt werden die Maßnahmen vor Ort. Es sind die Menschen, die die Kaufentscheidungen treffen oder Produktionsprozesse steuern, die letztlich die Transformation konkret umsetzen.
„Es geht um problemlösungsorientiertes, strategisches Handeln“
Eines Ihrer Projekte heißt „systematische Nachverfolgung der Arbeitsbedingungen in Ursprungsländern“. Größere Unternehmen müssen das im Rahmen des LkSG tun, aber oft ist von Überforderung die Rede. Warum schaffen Sie das und andere nicht?
Weil wir uns unserer sozialen und ökologischen Verantwortung bewusst sind. Wir setzen schon lange Maßnahmen um und haben Erfahrungen gesammelt. Einen Code of Conduct haben wir bereits 2017 eingeführt. SMETA-Audits sind seit vielen Jahren fester Bestandteil in unserer Lieferkette. Es geht bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen um problemlösungsorientiertes, strategisches Handeln: Ich kann nicht erwarten, von heute auf morgen alles zu ändern. Ich muss Schritt für Schritt die Hebel für Veränderungen ansetzen. Dass das LkSG kommt, war seit einigen Jahren bekannt. Wenn man lange lobbyiert und versucht, eine Entwicklung wegzudiskutieren, dann hat man vielleicht später ein Problem. Oder man erkennt, dass eine Veränderung kommen muss und kommen wird und versucht, sich strategisch weiterzuentwickeln.
Ein wichtiges Werkzeug zur strategischen Entwicklung ist die Wesentlichkeitsanalyse. Sie haben eine solche bereits drei Mal durchgeführt – was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Eine ganze Menge. Bisher haben wir uns bei der Wesentlichkeitsanalyse stark auf die Einbindung von Stakeholdern konzentriert. Für unsere letzte Wesentlichkeitsanalyse, die wir bereits durchgeführt, aber noch nicht veröffentlicht haben, wurden über 300 interne und externe Stakeholder befragt. Dies ist nach den neuen Anforderungen der ESRS so intensiv nicht mehr notwendig. Jetzt geht es darum, den doppelten Impact objektiv zu integrieren. Das ist noch eine Herausforderung. Große Unternehmen holen sich dazu Beratungsagenturen ins Haus, die die Rolle der Nachhaltigkeit in den Blick nehmen.
Sind bei Ihrer letzten Wesentlichkeitsanalyse neue Themenfelder aufgetaucht, für die Sie bisher blinde Flecken hatten?
Eigentlich nicht. Allerdings ist seit der letzten Analyse das Thema Klimaanpassung in der Lieferkette expliziter geworden. Dabei geht es darum, wie sich Unternehmen in der Landwirtschaft an die heute schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels anpassen und wie resilient sie sind. Wir haben bereits in der Vergangenheit in Projekten untersucht, welche Böden die Landwirtinnen und Landwirte haben, welchen Humusgehalt sie aufweisen, wie sie Wasserspeicherkapazitäten aufbauen können und so weiter. Aber dass das jetzt so explizit als wesentliches Handlungsfeld auftaucht, das fand ich schon spannend.
Nachhaltigkeit gehört bei Ihnen zum Markenkern. Braucht ein Unternehmen wie die Bohlsener Mühle überhaupt noch einen Head of Sustainability?
Die Zukunft erfordert, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Nachhaltigkeit verstehen und umsetzen. Daher braucht es vor allem Verantwortliche in den einzelnen Abteilungen, die das Thema mitdenken. Die Nachhaltigkeitsabteilung kann den Prozess vorantreiben und unterstützen, aber die gesamte Organisation muss nachhaltig handeln. Ein Beispiel: Ich kann einen Prozess zu nachhaltigen Einkaufsregeln mitentwickeln, die Prozesse müssen dann aber von den Abteilungen selbst gelebt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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