Leitsatz
Eintritt der gesetzlichen Erbfolge, wenn der Erblasser nur über einen geringen Teil seines Nachlasses verfügt und eine Erbeinsetzung durch spätere gesonderte Verfügung beabsichtigt hat, zu der es dann aber nicht mehr gekommen ist. Die unterlassene letztwillige Verfügung kann nicht durch Auslegung ersetzt werden.
OLG München, Beschluss vom 14. Juni 2010 – 31 Wx 151/09
Sachverhalt
Die verwitwete und kinderlose Erblasserin verstarb am 11.5.2008 im Alter von 84 Jahren.
Sie hat keine nahen Angehörigen. (...) Am 20.3.2007 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament mit im Wesentlichen folgendem Inhalt:
Zitat
"Testament "
Ich (Erblasserin) erkläre hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte meinen letzten Willen. Ich bin verheiratet, mein Ehegatte … ist 2004 verstorben. Ich habe keine Abkömmlinge und keine Adoptierten. Ich bin deutsche Staatsangehörige. Seit dem Tode meines Ehemannes habe ich nicht mehr geheiratet. Mein derzeitiges Vermögen besteht im Wesentlichen aus meiner Wohnungseinrichtung, meinen persönlichen Sachen und Bankguthaben bei der Stadtsparkasse A.
Ich erkläre hiermit zu meinen Erben wie folgt:
1. Herr R.B. (Beteiligter zu 1) … Besitzer der R-Apotheke in A. 5.000,00 EUR
2. Herr N.K. (Beteiligter zu 2) … München 5.000,00 EUR
3. seine Ehefrau M.K. (Beteiligte zu 3) … M. 5.000,00 EUR
4. die beiden Söhne (Beteiligte zu 4 und 5) … für die spätere Ausbildung je 2.500,00 EUR 5.000,00 EUR
5. Frau A.T. (Beteiligte zu 6) … A. 5.000,00 EUR
Sollte noch ein Restbetrag übrig bleiben, so bitte ich diesen unter Vorgenannten aufzuteilen.
Zu meinem Testamentsvollstrecker bitte ich Frau M.B. zu bestimmen.
Augsburg, (Datum)
(Unterschrift)“
In einem handschriftlichen Schreiben vom 16.6.2007 bestimmte die Erblasserin, dass "die schwarze Tasche samt Inhalt" Frau M. B. (oben genannte Testamentsvollstreckerin) gehört. Das Testament vom 20.3.2007 und das Schreiben vom 16.6.2007 befanden sich in einem Umschlag mit der Aufschrift "Testament". In einem Schreiben vom 9.4.2007 vermachte die Erblasserin mehrere Gegenstände aus ihrer Wohnung den Beteiligten zu 2 und 3, und in einem weiteren Schreiben vom (ebenfalls) 16.6.2007 der Beteiligten zu 6 den Wohnzimmerteppich.
Zum Todestag beliefen sich die Bankguthaben (sämtlich, wie im Testament vom 20.3.2007 angegeben, bei der Sparkasse Augsburg) auf rund 398.000 EUR; der Reinnachlass wurde mit 403.000 EUR berechnet.
Die Beteiligten zu 1 bis 6 sind der Auffassung, dass sie Miterben zu je 1/5 (die zwei Kinder zu je 1/10) sind; ein entsprechender Erbscheinsantrag wurde gestellt. Ihre Erbenstellung ergebe sich daraus, dass sie über die festgelegten Geldbeträge hinaus auch den "Restbetrag" erhalten sollen.
Die unbekannten gesetzlichen Erben (Beteiligte zu 7), vertreten durch die gerichtlich bestellte Pflegerin, wenden sich gegen den Erbscheinsantrag. Nach ihrer Auffassung sind die Beteiligten zu 1 bis 6 Vermächtnisnehmer und ist gesetzliche Erbfolge eingetreten.
Das Nachlassgericht hat Erhebungen bei der Stadtsparkasse Augsburg, dem Hausarzt und bei der Sozialstation durchgeführt sowie die Steuerberaterin der Erblasserin und die Testamentsvollstreckerin mündlich angehört. Mit Beschluss vom 28.1.2009 kündigte es im Wege des Vorbescheids die Erteilung des beantragten Erbscheins an.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 7 wies das Landgericht nach Anhörung zweier weiterer Zeuginnen zurück. Gegen diese Entscheidung wendet sich die namens der unbekannten Erben eingelegte weitere Beschwerde.
Aus den Gründen
Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die im Testament vom 20.3.2010 bedachten Personen sind nur Vermächtnisnehmer. Es tritt gesetzliche Erbfolge ein. (...)
Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht hat die für die Testamentsauslegung erhobenen Beweise unvollständig gewürdigt. Seine Auslegung kann deshalb keinen Bestand haben. (...)
Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht im Wege der ergänzenden Auslegung korrigieren, wie das Amtsgericht meint. Die ergänzende Auslegung setzt eine unbewusste, planwidrige Lücke voraus (vgl. Staudinger/Otte BGB <2003> Vorbem. zu §§ 2064 ff Rn 81; MüKoBGB/Leipold, 5. Aufl. § 2084 Rn 73, 77; Soergel/Loritz BGB, 13. Aufl. § 2084 R. 38). Das liegt nicht vor: Die Erblasserin hat im Testament vom 20.3.2007 bewusst nur über einen geringen Bruchteil ihres Vermögens verfügt. Sie hat über den Großteil ihres Vermögens gerade keine Regelung getroffen; deshalb kann insoweit nur die gesetzliche Regelung und nicht eine ergänzende Auslegung greifen. Die Annahme des Amtsgerichts, die Erblasserin hätte, wenn sie gewusst hätte, dass sie verstirbt, ohne ein Testament zugunsten einer karitativen Einrichtung gemacht zu haben oder ohne ihr Vermögen aufgebraucht zu haben, die Beteiligten zu 1 bis 6 als Erben ihres gesamten Nachlasses gewollt (jedenfalls eher gewollt als gesetzliche Erbfolge), mag zutreffen, hilft aber nicht weiter. Denn wegen der für die gewillkürte Erbfolge geltenden Formenstrenge kann eine unterlassene letzt...