Die Verhandlungen in 2011 um das DBA waren ein politischer Balanceakt, bei dem es gelungen ist, langjährig bestehende wechselseitige Vorbehalte aufzulösen. Auf der Seite der deutschen Verhandlungsdelegation bestand aber offenbar eine große Sorge, dass eine uneingeschränkte Abkommensberechtigung liechtensteinischer Gesellschaften zu einem "Treaty Shopping" führen könnte, bei dem internationale Investoren aus Jurisdiktionen, die ihrerseits kein DBA mit Deutschland unterhalten, die gewährten Abkommensvorteile des DBA D-FL missbrauchen könnten. Auch weil die diesbezügliche nationale Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 50 d Abs. 3 dEStG – wie viele andere "Treaty Override"-Vorschriften auch – derzeit einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterliegt, sollte offenbar eine diesbezügliche Vorschrift auch im DBA selbst mit verankert werden.
Art. 31 DBA D-FL iVm den Protokollbestimmungen 11–13 des DBA stellt eine in der deutschen Abkommenspraxis bislang einzigartige und deswegen besonders auslegungsbedürftige Regelung zur Missbrauchsvermeidung dar.
Den Kern von Art. 31 Abs. 1 DBA D-FL stellt ein umfassender Aktivitätsvorbehalt dar, nach welchem eine liechtensteinische "Gesellschaft" "nur dann" Anspruch auf "alle Vergünstigungen nach diesem Abkommen" haben soll, wenn sie u.a. selbst in Liechtenstein "aktiv gewerblich tätig" ist. Die Anforderungen an die nachzuweisende aktive gewerbliche Tätigkeit sind strenger als die Anforderungen des § 50 d Abs. 3 dEStG an eine "eigene Wirtschaftstätigkeit" und werden im weiteren Verlauf der Vorschrift auch näher beschrieben: Sie werden in Satz 2 negativ gegen verschiedene, offenbar als "passiv" erachtete Tätigkeiten wie Vermögensverwaltungs-, Finanzierungs- und Lizensierungstätigkeiten abgegrenzt, in Abs. 2 durch Kriterien einer qualitativen und quantitativen "Erheblichkeit" erweitert sowie in Protokollpunkt 11 lits. b., c und Protokollpunkt 12 inhaltlich ausgeweitet und präzisiert. Vorsorglich flankiert wird der beschriebene Aktivitätsvorbehalt durch Art. 31 Abs. 4 DBA, der die weitere Anwendbarkeit nationaler Missbrauchsvorschriften auch im DBA-Kontext für zulässig erklärt und Protokollpunkt 13, der eine salvatorische Klausel für den Fall enthält, dass Art. 31 DBA an irgendeiner Stelle gegen europäisches Primärrecht verstößt.
Vergleicht man die DBA-Bestimmungen weiter mit der oben beschriebenen Regelung des § 50 d Abs. 3 dEStG, so ist festzustellen, dass die unmittelbar im DBA D-FL unter Art. 3 Abs. 1 lit e) gegebene und damit hier auch im Kontext des Art. 31 vorrangig anwendbare Definition des Begriffs "Gesellschaft" deutlich umfassender ist als die Gesellschaftsdefinition im nationalen Kontext des § 50 d Abs. 3 d EStG. Sie umfasst – wie im zweiten Abschnitt gezeigt und anders als im nationalen Kontext (S. oben Abschnitt 3.1) – auch juristische Personen ohne Anteilseigner, also insbesondere die ansässige liechtensteinische Stiftung.
Liechtensteinische Stiftungen entfalten, wie österreichische Privatstiftungen auch, im Normalfalle schon aufgrund der zivilrechtlichen Beschränkung des Art. 552 § 1 Abs. 2 flPGR keine im oben beschriebenen Sinne des Abkommens als "ausreichend" für die Gewährung aller Vergünstigungen erachtete "aktive gewerbliche Tätigkeiten". Der beschriebene Aktivitätsvorbehalt des Art. 31 Abs. 1 eröffnete also, wollte man ihn auch in diesem Falle anwenden (hierzu sogleich), insbesondere Deutschland die Möglichkeit, Stiftungen und anderen ansässigen Gesellschaften ohne Anteilseigner Abkommensvergünstigungen in inhaltlich unbestimmtem Umfang zu versagen.
Dieses bis dahin stoßende Ergebnis des Art. 31 DBA D-FL, nach dem ansässige liechtensteinische Stiftungen, anders als z. B. ansässige österreichische Privatstiftungen, "nicht alle Vergünstigungen" in Anspruch nehmen können sollen, wird aber in den Protokollbestimmungen zu Art. 31 des Abkommens für anteilseignerlose Gesellschaften wieder aufgehoben:
Gem. Protokollpunkt 11 a) des Abkommens ist Art. 31 Abs. 1 DBA D-FL "nur" anzuwenden, "soweit an der Gesellschaft Personen beteiligt sind, die keinen oder keinen vollständigen Anspruch auf Vergünstigungen nach diesem Abkommen hätten". Der stark einschränkende Aktivitätsvorbehalt des Art. 31 soll also nach der Protokollbestimmung inhaltlich nur dann angewendet werden, wenn und soweit an der Gesellschaft überhaupt Personen beteiligt sind, nicht aber, wenn die abkommensrechtliche Gesellschaft gar keine Gesellschafter hat.
An einer liechtensteinischen Stiftung als "rechtlich und wirtschaftlich verselbstständigtes Zweckvermögen" sind, wie auch bei Stiftungen in Deutschland und Österreich, ex definitione keine Personen im gesellschaftsrechtlichen Sinne als Gesellschafter beteiligt. Bei der Abwesenheit von beteiligten Personen können naturgemäß auch keine Ansprüche auf Vergünstigungen dieser Personen geprüft werden. Die Bedingung des Protokollpunktes 11 a) DBA ("soweit ... Personen beteiligt sind") ist somit bei diesen Gesellschaften nicht erfüllt.
Der Begriff der "Betei...