Während der Pandemie hat Zerberus sich immer mal wieder die Frage gestellt, ob er als Kläger oder Beklagter eines Zivilprozesses die (griechische) Unterwelt für die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung verlassen müsste, um in die Oberwelt zu reisen.
Nur einmal ist Zerberus bisher in die Oberwelt gereist. Damals war der Höllenhund von Herakles zu Eurystheus getragen worden. Der Eisenhut, die giftige Blume, erinnert noch heute an seinen Besuch.
Im Zivilprozess gestattet § 128a ZPO den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und der Verhandlung per Bild- und Tonübertragung beizuwohnen.
Als anderer Ort i.S.d. § 128a ZPO wird grundsätzlich jeder Ort außerhalb des Gerichtssaals verstanden, in dem die Verhandlung jedenfalls in Anwesenheit des Gerichts stattfindet. Der andere Ort kann eine andere Räumlichkeit im Gerichtsgebäude oder außerhalb des Gerichtsgebäudes in derselben oder in einer anderen Stadt sein (Anders/Gehle, ZPO, § 128a ZPO Rn 11).
Aber was gilt, wenn sich der andere Ort im Ausland befindet und sich eine Partei der mündlichen Verhandlung von dort zuschalten möchte?
Nach bislang herrschender Meinung in der Literatur ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung aus dem Ausland im Wege der Bild- und Tonübertragung nicht zulässig:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei als hoheitliches Handeln zu qualifizieren, welches bei einer Teilnahme aus dem Ausland auf fremdem Territorium ausgeübt würde mit der Folge, dass damit die territoriale Integrität des ausländischen Staates verletzt würde (vgl. z.B. Schultzky, NJW 2003, 313, 314 f.).
Ganz anders hat nun im März dieses Jahres das VG Freiburg mit Beschl. v. 11.3.2022 – 10 K 4411/19 (NVwZ 2022, 813) entschieden und dem Geschäftsführer einer Klägerin mit Sitz im Ausland und Rechtsanwalt in Deutschland die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gestattet.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass es durch die Gestattung der Teilnahme einer im Ausland befindlichen Partei an der in Deutschland stattfindenden mündlichen Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung keine Hoheitsgewalt im Ausland ausübe, weil sich durch die Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung am Ort der Gerichtsverhandlung nichts ändere. Es werde vielmehr lediglich die persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durch die Bild- und Tonübertragung in den Gerichtssaal ersetzt. Es könne auch nicht davon gesprochen werden, dass von der Bild- und Tonübertragung (mittelbar) hoheitliche Wirkungen im Ausland ausgingen. Davon ist jedenfalls deshalb auszugehen, weil der Partei, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet wurde, lediglich ermöglicht werde, (freiwillig) Äußerungen in der mündlichen Verhandlung abzugeben, ohne dass eine förmliche Parteivernehmung oder eine Beweisaufnahme stattfindet, und zudem Prozesshandlungen von ihrem – aus dem Bundesgebiet zugeschalteten – Prozessbevollmächtigten vorgenommen werden könnten.
Eine Entscheidung, die Hoffnung macht, zumal die für das Verwaltungsgerichtsverfahren geltende Vorschrift des § 102a VwGO wortgleich ist zu § 128a ZPO. Auch die EU-Kommission hat schon vorgeschlagen, es den Parteien eines Zivilprozesses zu ermöglichen, an mündlichen Verhandlungen in einem anderen Mitgliedsstaat im Wege der Bild- und Tonübertragung teilzunehmen (Vorschlag der EU-Kommission vom 2.12.2021 zu grenzüberschreitenden Videoverhandlungen).
Zerberus wird also auch im Fall seiner Beteiligung als Kläger oder Beklagter an einem Zivilprozess aller Voraussicht nach nicht nochmals in die Oberwelt reisen müssen. Das gilt jedenfalls dann, wenn er nicht nach § 141 Abs. 1 ZPO als Partei gehört werden soll (siehe dazu Windau, jM 2021, 178 ff.).
ZErb 8/2022, S. I