Leitsatz
1. Zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts ist grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird. Ist diese Urkunde nicht auffindbar, kommt der allgemein anerkannte Grundsatz zum Tragen, dass es die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verlorengegangen oder sonst nicht auffindbar ist. In einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden.
2. Eine Testamentskopie allein genügt nicht, um daraus ein Erbrecht abzuleiten, denn die Fotokopie als solche erfüllt nicht die Anforderungen an ein formgültiges privatschriftliches Testament. Auch mit einer eidesstattlichen Versicherung darf sich das Nachlassgericht nicht begnügen. Erforderlich ist vielmehr eine im Strengbeweisverfahren durchgeführte förmliche Beweisaufnahme.
3. Eine Vernichtung wird nicht schon durch den Umstand belegt, dass das Originaltestament nicht vorliegt. § 2255 BGB setzt für die Aufhebung einer letztwilligen Verfügung deren bewusste Vernichtung voraus. Es müssen daher Tatsachen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit den Schluss rechtfertigen, der Erblasser habe die Testamentsurkunde in der Absicht vernichtet, sie zu widerrufen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.3.2023 – 11 W 73/21 (Wx)
1 Gründe
I.
Die Beteiligte zu 2 wendet sich gegen die Zurückweisung ihres Erbscheinsantrags und gegen die Erteilung des von dem Beteiligten zu 1 beantragten Alleinerbscheins. Die Beteiligten streiten um die wirksame Errichtung eines den Beteiligten zu 1 begünstigenden Testaments sowie dessen Widerruf durch Zerreißen.
Der am … verstorbene Erblasser war mit der am … vorverstorbenen Frau … verheiratet. Kinder der Eheleute sind der … vorverstorbene X … , dessen Sohn der Beteiligte zu 1 ist, sowie die Beteiligte zu 2, welcher der Erblasser in den Jahren 2011, 2017 und 2018 mehrere Vollmachten (…) erteilt hatte.
Mit gemeinschaftlichem privatschriftlichem Testament vom 18.5.2007 setzten sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben sowie als Erben des Letztversterbenden die Beteiligte zu 2 und ihren Bruder ein und benannten den Sohn der Beteiligten zu 2, … , als Ersatzerben. Ferner bestimmten sie, dass der Überlebende von ihnen frei über den Nachlass verfügen und auch eine neue letztwillige Verfügung errichten könne. Zudem trafen sie Anordnung, welcher der Erben bestimmte Nachlassgegenstände erhalten solle. In einem Zusatz zum Testament vom 6.8.2008 trafen die Eheleute ergänzende Bestimmungen in Bezug auf einen Grundschuldbrief und die Immobilie … Wegen der Einzelheiten wird auf die Originaldokumente Bezug genommen (AG Karlsruhe, Verwahrakte Az. 2 IV 1488/20, AS 25 ff.). Das Hausgrundstück … wurde im Jahr 2012 verkauft.
Der Beteiligte zu 1 und seine Schwester beantragten die Erteilung eines sie als Erben ausweisenden Erbscheins (AS I, 1). Der Antrag wurde nachfolgend dahingehend geändert, dass der Beteiligte zu 1 den Erblasser allein beerbt habe (AS I, 199). Der Beteiligte zu 1 stützte sein Erbrecht auf ein Testament, das der Erblasser zu seinen Gunsten mithilfe von Rechtsanwalt … , errichtet habe (AS I, 49 f.).
Die Beteiligte zu 2 trat dem Antrag entgegen und beantragt auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments vom 18.5.2007 die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins (AS I, 123).
Das Nachlassgericht holte zunächst eine schriftliche Zeugenaussage des Rechtsanwalts … vom 1.4.2020 ein. Der Zeuge übersandte in diesem Zusammenhang aus seiner Handakte die Kopie eines von dem Erblasser handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen Schriftstücks vom 16.9.2015 sowie seinen Schriftsatz an den Erblasser vom 2.10.2015. Das kopierte Schriftstück vom 16.9.2015 lautet auszugsweise:
Zitat
Mein letzter Wille
Ich, … , geb. (…),
im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, will ich, das meine nachfolgend aufgeführte Hinterlassenschaft vererbt wird.
Als Vollerbe setze ich meinen Enkel
… geb. (…)
ein.“
(Nummeriert mit Nr. 1 bis Nr. 9 folgt eine Auflistung von Vermögensgegenständen.)
Zitat
10. Unser Sohn, … , ist am … gestorben.
11. Meine Tochter, … , geb. (…) erbt einen Pflichtteil und die Bilder aus ihrer Geburtsheimat.
Sie und Ihre Kinder haben sich von mir getrennt, nachdem ich keine finanzielle Stütze, für die Bezahlung des Hauses, mehr bezahlt habe. Ergo konnte ihr Haus auch nicht mehr finanziert werden und wurde verkauft.
12. Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben den Inhalt des Testamentes vom 28.5.2007 und den Zusatz zum Testament vom 6.8.2008 völlig verändert oder erledigt.“
(Unter Nr. 13 und 14 folgen Anordnung für die Bestattung und Grabpflege.)
Zitat
15. Als Vollerbe habe ich den Stand der Dinge, wie geschrieben, hiermit verfügt.
… , den 16.9.2015“
Der Schriftsatz vom 2.10.2015 enthält einen von dem Zeugen … für den Erblasser gefertigten Entwurf eines Testaments mit der Bitte um Rücksprache, sollten Fragen hierzu bestehen. Andernfalls könne das Testament handschriftlich verfasst werden. Wegen der Einzelheiten ...