Hatte der Erblasser keine Kenntnis, so fragt sich: Infiziert Kenntniserlangung des Vorerben auch den Nacherbfall?
Ohne Belang ist die Frage, wenn der Vorerbe den Anspruch nach Kenntniserlangung verjähren lässt. Denn er ist für die Dauer der Vorerbschaft unbeschränkt berechtigter Anspruchsinhaber. Jede Verfügung über den Anspruch, wie sie ihm unbenommen ist, § 2112 BGB, wirkt gegen den Nacherben. Gewinnt er also Kenntnis und macht den Anspruch sodann nicht geltend, lässt ihn verjähren, so bedeutet dies wirtschaftlich Preisgabe durch Verjährenlassen. Erhebt der Schuldner die Einrede, gleich ob gegenüber Vor- oder Nacherbe, ist der Anspruch verloren.
Was aber, wenn der Nacherbfall vor Ablauf der Verjährungsfrist eintritt und der Nacherbe keine Kenntnis hat? Im Grundsatz gilt: Der Nacherbe ist nicht Erbe des Vorerben, sondern desselben Erblassers. Ein Anspruch des Erblassers geht zunächst so auf ihn über, wie er in Person des Erblassers entstanden ist, also prinzipiell wiederum ohne Kenntnis. Ginge man im Ergebnis davon aus, zwischenzeitlich erworbene Kenntnis des Vorerben modifiziere den Anspruch, so müsste er, bildlich gesprochen, wie Uran mit der Kenntnis des Vorerben angereichert worden sein und mit dieser Modifikation, also in seiner Eigenschaft als nunmehr bekannter, fortbestehen. Der Nacherbe erwürbe also den ursprünglichen Anspruch in einer Beschaffenheit, die durch Vorgänge während der Vorerbschaft gewandelt wäre. Derartige Wandlungen sind in Gestalt von Verfügungen nach § 2112 BGB, Ausübung von Gestaltungsrechten, Surrogation prinzipiell zulässig und möglich. Der Nacherbe wäre unter diesem Aspekt mittelbar eben doch Rechtsnachfolger des Vorerben, denn er muss die Ansprüche des Erblassers aus der Vorerbschaft zwingend in dem Rechtszustand übernehmen, wie der Vorerbe sie ihm hinterlässt. Der Aspekt scheint mir aber nicht tragfähig, im Verhältnis von Vor- und Nacherbe eine Wissenszurechnung zu rechtfertigen. Die Schlussfolgerung "Wenn der Vorerbe schon zulasten des Nacherben über den Anspruch verfügen darf, so muss dem Nacherben – erst recht – auch die anspruchsbezogene Kenntnis des Vorerben zugerechnet werden", wäre schon logisch nicht haltbar. Denn der Obersatz handelt von objektivrechtlich eingeräumter Befugnis, die conclusio von Kenntnis als der subjektiven Bedingung einer Anspruchsdurchsetzung, worauf mangels Vergleichbarkeit der Gegenstände a fortiori, namentlich a maiore ad minus, nicht geschlossen werden kann.
Damit beginnt mE mangels Wissenszurechnung nach Eintritt des Nacherbfalls die Verjährung erst dann wieder zu laufen, wenn der Nacherbe Kenntnis erlangt.
Läuft die Verjährungsfrist ab diesem Zeitpunkt von Neuem? Oder wird dem Nacherben der in Person des Vorerben entstandene Fristlauf zugerechnet?
Hier wird man danach unterscheiden müssen, ab wann der Nacherbe eigene Kenntnis hatte. Denn Zweck dieser subjektiven Komponente ist, dem Gläubiger eine "faire Chance" zu verschaffen, "seinen Anspruch rechtzeitig vor Vollendung der Verjährung gerichtlich geltend zu machen;" die Frist erhalte damit den Charakter einer "Überlegungsfrist" und schütze den Schuldner vor "Entschlusslosigkeit des Gläubigers". Dieser Zweck würde verfehlt und beispielsweise der Nacherbe unter ungerechtfertigten Zeitdruck gesetzt, wenn man ihm nicht eben die Zeitpanne nach Kenntniserlangung gäbe, die der Vorerbe für sich in Anspruch nehmen konnte. Hatte er bei Eintritt des Nacherbfalls keine Kenntnis, so beginnt die Frist neu erst zu laufen, wenn er in eigener Person Kenntnis erwirbt. So soll etwa die Frist des § 211 Satz 1 BGB jeweils von Neuem zu laufen beginnen, wenn ein Vertreter während der Sechsmonatsfrist ausscheidet und ein neuer bestellt wird.
Hatte er Kenntnis vor Eintritt des Vorerbfalls, dann fragt sich, ob die "Überlegungsfrist" sich darauf bezieht, den Anspruch klagweise durchzusetzen. Unter dieser Voraussetzung käme es darauf an, wann der Nacherbe für die Klage sachbefugt wird. Geht es bei der Überlegungsfrist darum, ob sich der Betreffende auf den Anspruch, allgemein gesprochen, innerlich einstellen konnte, so wird auch die bis zur Erlangung der Aktivlegitimation verstrichene Zeit hineinzurechnen sein. Mir scheint der prozessuale Aspekt, der Entschluss zur Klagerhebung, im Vordergrund zu stehen, sodass an den Zeitpunkt der Erlangung von Sachbefugnis anzuknüpfen sein dürfte.