Leitsatz
Für den Anlauf der Ausschlagungsfrist ist die Kenntnis sämtlicher Umstände, die zum Anfall der Erbschaft führen, erforderlich. Hat der die Erbschaft ausschlagende gesetzliche Erbe keine Kenntnis von der vorangegangenen Ausschlagung der Testamentserben, geht er aber sicher von der Existenz einer letztwilligen Verfügung aus, so beginnt die Frist des § 1944 BGB erst mit Unterrichtung von der Ausschlagung der Testamentserben zu laufen.
OLG Dresden, Beschluss vom 20. Januar 2016 - 17 W 23/16
Sachverhalt
Der Anfang 2015 im Alter von 75 Jahren verstorbene Erblasser war ledig und hatte keine Abkömmlinge; seine Eltern sind längst tot. Die von ihm testamentarisch eingesetzten Erben – ein Freund, ersatzweise seine Tochter – haben die Erbschaft ausgeschlagen, ebenso in der Folgezeit (wohl) sämtliche gesetzliche Erben der zweiten Ordnung. Das Nachlassgericht hält die Ausschlagungen für wirksam, mit einer Ausnahme: Die vom hier beteiligten Neffen des Erblassers am 5.8.2015 zur Niederschrift seines Wohnsitzamtsgerichts in Berlin erklärte Ausschlagung sei verfristet, der Beteiligte deshalb als Alleinerbe zu betrachten. Diese Einschätzung zum Sachstand hat der Nachlassrechtspfleger dem Beteiligten mit Schreiben vom 17.9.2015 mitgeteilt; eine Kopie dieses Schreibens hat er parallel der A-Hausverwaltung übermittelt, die sich für die an der Beräumung der Mietwohnung des Erblassers interessierte Vermieterin zu den Akten gemeldet und um Erbenauskunft gebeten hatte. Dagegen richtet sich die Anfang Dezember 2015 erhobene "außerordentliche" Beschwerde des Beteiligten, der das Amtsgericht – nach eigener Hinweisverfügung vom 7.12.2015 und Aufrechterhaltung der Beschwerde mit Anwaltsschrift vom 15.12.2015 – nicht abgeholfen hat.
Aus den Gründen
Die "außerordentliche Beschwerde" des Beteiligten ist unzulässig und deshalb mit der Kostenfolge aus § 84 FamFG bei Festsetzung des Geschäftswerts auf den Betrag der untersten Gebührenstufe zu verwerfen. Das, was der Beschwerdeführer beanstandet, nämlich das an ihn gerichtete Schreiben des Nachlassgerichts vom 17.9.2015 und die abschriftliche Übermittlung an die A-Hausverwaltung, unterliegt nicht der Beschwerde. Weder handelt es sich um eine Endentscheidung im Sinne von § 58 Abs. 1 FamFG, noch um eine kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruchs (BGH, Beschluss vom 25.2.2015 – XII ZB 242/14 Tz 20 mwN, juris) ausnahmsweise anfechtbare Zwischen- oder Nebenentscheidung. Vielmehr stellt das besagte Schreiben eine bloße, im Übrigen informell gehaltene Meinungskundgabe des Nachlassgerichts dar, die unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch ist und/oder ob sich der Beteiligte deshalb "Belästigungen" durch die A-Hausverwaltung ausgesetzt sieht, nicht beschwerdefähig ist. Der Senat ist nicht gehindert, seine eigene Ansicht – ebenfalls unverbindlich – kundzutun: Dem Beteiligten kann eine Erbschaft von vornherein nur angefallen sein, wenn in den Anordnungen des Erblassers unter Nr. 1 Absatz 2 des notariell beurkundeten Testaments vom 20.1.2004 nicht eine Enterbung der gesetzlichen Erben im Sinne von § 1938 BGB zu sehen ist, die im Falle der Ausschlagung durch die Testamentserben Bestand haben sollte (vgl. insoweit OLG Hamm ZEV 2012, 266 und 2012, 314). Das Nachlassgericht scheint eine solche gesonderte Enterbungsverfügung zu verneinen. Ob das richtig ist, mag dahinstehen. Für unzutreffend hält der Senat jedenfalls die Ansicht des Amtsgerichts, die Ausschlagungsfrist habe für den Beteiligten bereits mit Erhalt des gerichtlichen Anschreibens vom 15.6.2015, spätestens aber am 22.6.2015 begonnen, als der Beteiligte per Mail geantwortet habe. Nach allgemeiner Auffassung ist bei gesetzlicher Erbfolge Kenntnis des Berufungsgrundes im Sinne von § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB (erst) anzunehmen, sobald dem gesetzlichen Erben die seine Erbberechtigung begründenden Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden sei; die nötige Kenntnis fehlt ihm also, solange er vermuten darf und tatsächlich vermutet, er sei durch letztwillige Verfügung als gesetzlicher Erbe ausgeschlossen (Palandt/Weidlich BGB 75. Aufl. § 1944 Rn 4 mwN). Im Streitfall hatte das Nachlassgericht dem Beteiligten weder vor noch unmittelbar mit dem Schreiben vom 15.6.2015 die Existenz des Erblassertestaments und die Ausschlagung durch die eingesetzten Erben, sondern "nur" mitgeteilt, er sei "nach Aktenlage kraft Gesetzes als einziger Sohn der verstorbenen Schwester A. des Erblassers zum Miterben berufen". Ausweislich seiner E-Mail an das Nachlassgericht vom 3.7.2015 ging der Beteiligte – subjektiv verständlich und objektiv zutreffend – davon aus, dass der Erblasser ein Testament hinterlassen habe und er, Beteiligter, dort aufgrund des sehr schlechten Verhältnisses zum Erblasser schwerlich als Erbe eingesetzt sei. Erst das nachfolgende Schreiben des Nachlassgerichts vom 6.7.2015 (nämlic...