I. Die Klage hat keinen Erfolg.
Die streitigen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Der Beklagte hat zu Recht einen Freibetrag i.H.v. 100.000 EUR berücksichtigt.
Nach § 16 Abs. 1 ErbStG bleibt in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht der Erwerb der Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 i.H.v. 400.000 EUR (Nr. 2), der Erwerb der Kinder der Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 i.H.v. 200.000 EUR (Nr. 3) sowie der übrigen Personen der Steuerklasse I i.H.v. 100.000 EUR (Nr. 4) steuerfrei. Nach § 15 Abs. 1 ErbStG gilt die Steuerklasse I u.a. für "die Kinder und Stiefkinder" (Nr. 2) sowie für "die Abkömmlinge der in Nummer 2 genannten Kinder und Stiefkinder" (Nr. 3).
Nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes meint der Begriff "Kinder" in § 16 Abs. 1 ErbStG nicht Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge. Das gilt im Fall des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch für die doppelte Verwendung des Worts "Kinder", sodass "Kinder der Kinder" ausschließlich die Enkel, nicht aber die Urenkel sind (vgl. BFH, Beschl. v. 27.7.2020 – II B 39/20 (AdV), BFHE 270, 376, BStBl II 2021, 28).
Die Klägerin ist Urenkelin der Erblasserin. Als solche unterfällt sie als Abkömmling eines der Steuerklasse I Nr. 2 unterfallenden Kindes oder Stiefkindes der Steuerklasse I Nr. 3. Gem. § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steht ihr demnach ein Freibetrag i.H.v. 100.000 EUR zu. Diesen Freibetrag hat der Beklagte im streitigen Bescheid zutreffend berücksichtigt.
2. Ein höherer Freibetrag steht der Klägerin nicht zu.
Ihr steht kein Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 ErbStG zu.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bleibt der Erwerb der Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 i.H.v. 400.000 EUR und nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG der Erwerb der Kinder der Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 i.H.v. 200.000 EUR steuerfrei. Zur Steuerklasse I Nr. 2 gehören gem. § 15 Abs. 1 ErbStG die Kinder und Stiefkinder der Erblasserin.
Die Klägerin unterfällt als Urenkelin der Erblasserin nicht dem Wortlaut des Tatbestands von § 16 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 ErbStG. Sie ist insbesondere kein Kind der Erblasserin (vgl. oben unter I. 1.).
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ErbStG sind auch nicht dahingehend auszulegen, dass die Klägerin als Urenkelin ebenfalls Anspruch auf einen darin ausgewiesenen Freibetrag hat, weil ihr Vater und ihre Großmutter als Abkömmlinge der Erblasserin zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits verstorben waren.
a) Eine entsprechende Diskussion wird in der Literatur für den Fall einer Erbschaft durch Urenkel bei vorverstorbenen Kindern und Enkeln bisher zur Gewährung eines höheren Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG geführt. Die Erwägungen sind gleichlautend mit den Fragen, die sich auch bei der Gewährung eines Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG stellen.
Gemein haben § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ErbStG, dass beide Normen Kinder oder Kinder der Kinder von Erblassern begünstigen und sich jeweils die Frage stellt, ob bei vorverstorbenen Kindern und Kindeskindern auch die Urenkel der Erblasser in den Genuss der höheren Freibeträge kommen sollen.
Hierzu wird in der Literatur zur Begünstigung der Stammeserbfolge vereinzelt die Anwendung eines Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als sachgerecht erachtet (vgl. Meincke/Hannes/Holtz, 18. Aufl. 2021, ErbStG, § 16 Rn 11; a.A.: Götz, in: Wilms/Jochum, ErbStG, 115. EL September 2021, § 16 Rn 89.1, 90.2; Stein, in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn 20; offengelassen: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Jülicher, 62. EL Juli 2021, ErbStG, § 16 Rn 5; Eisele, in: Kapp/Ebeling, ErbStG, 89. EL September 2021, § 16 Rn 8; Längle, in: Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, Stand 13.2.2020, § 16 Rn 13, Heckel, in: Tiedtke, ErbStG, 2009, § 16 Rn 12).
b) Nach Auffassung des Senats ist dieser vereinzelten Ansicht nicht zu folgen. § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ErbStG sind nicht im Sinne einer entsprechenden teleologischen Extension auszulegen.
aa) Dies scheitert bereits an einer zur Auslegung berechtigenden planwidrigen Regelungslücke.
Der Gesetzgeber hat in § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ausdrücklich geregelt, dass übrigen Personen der Steuerklasse I ein Freibetrag i.H.v. 100.000 EUR zusteht. Mit übrigen Personen der Steuerklasse I sind die Personen gemeint, die nicht unter § 16 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG fallen, mithin nicht Ehegatten, Kinder bzw. Kinder verstorbener Kinder oder Kindeskinder (Enkel) sind (s.o. unter I. 1.).
Urenkel fallen nicht unter § 16 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG. Sie gehören aber gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zur Steuerklasse I und unterfallen daher § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.
Dies hat der Gesetzgeber auch genauso beabsichtigt, denn in der Gesetzesbegründung des Erbschaftsteuerreformgesetzes (ErbStRG; BGBl I 2008, 3018) hat er ausdrücklich ausgeführt, dass zu den übrigen Personen der Steuerklasse I im Wesentlichen auch die Urenkel gehören und ihnen ein Freibetrag i.H.v. 100.000 EUR gewährt wird (vgl...