Der Zustimmung Sielkers zu der Entscheidung des BGH zur "Irrtumsanfechtung bei der sog. 'lenkenden Ausschlagung" (BGH Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, ZErb 2023, 297’ff., 300) möchte ich die vielleicht als respektlos zu wertende Möglichkeit entgegenstellen, dass der BGH in seinem Beschluss Wortlaut und Sinn des § 119 BGB nicht im Sinne einer "gerechten Lösung des Falles" eingeordnet haben könnte, wenn er den hier vorliegenden Sachverhalt als nicht anfechtbaren und daher nach § 119 BGB unbeachtlichen Motivirrtum des Sohnes des Erblassers (Beteiligter zu 2) gewertet hat.
Wie immer ist auch in diesem Fall der "nackte" Wortlaut des Gesetzes die Grundlage für die rechtliche Wertung eines Sachverhalts oder Rechtsverhältnisses. Hier ist es der Wortlaut des § 119 BGB, der eindeutig das folgende bestimmt: Eine Person, die eine Willenserklärung abgibt, über deren Inhalt sie im Irrtum war, oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (wobei gedanklich hier schon anzufügen ist: und sie daher auch gar nicht abgegeben hätte), kann sie anfechten, wenn anzunehmen ist, dass sie diese bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben haben würde, und sie damit unwirksam machen.
Der BGH hat sich sehr eingehend darüber ausgelassen, dass der beschwerdeführende Beteiligte zu 2) die Erbausschlagung in "Lenkungsabsicht" zu der Alleinerbfolge seiner Mutter erklärt habe, sich dabei über die stattdessen eintretende Rechtsfolge seiner Ausschlagung aber insofern geirrt habe, als die ihm vor seiner Erbausschlagung unbekannten Halbgeschwister des Erblassers als Miterben an seine und seiner Geschwister Stelle treten würden, und dass auf solchen ein "Motivirrtum" § 119 BGB nicht anwendbar sei. Dabei hat der BGH, wie mir scheint, nicht zutreffend berücksichtigt, dass dem Beschwerdeführer die Rechtsfolge seiner Erklärung, also der Erbübergang auf den/die nach gesetzlicher Erbfolge nächstberufenen Erben, nicht nur bewusst, sondern sogar spezifisch von ihm zugunsten seiner Mutter angestrebt war. Sein "Irrtum" betraf erkennbar aber nicht diese Rechtsfolge als solche, sondern bestand ausschließlich in dem offenbar nicht widerlegten Umstand, dass ihm von einer Existenz von Halbgeschwistern des Erblassers vor und bis zu seiner Erbausschlagung überhaupt nichts bekannt war. Er hatte offenbar auch gar keine Veranlassung zu der Annahme, dass es solche Halbgeschwister seines Vaters oder andere an seine Stelle tretende Erbprätendenten geben könnte. Erst nach seiner Ausschlagung und nach dem Antrag seiner Mutter auf Erteilung des Alleinerbscheins, der die Frage des Nachlassgerichts nach der Existenz weiterer gesetzlicher Erben erst auslöste, hat der Beschwerdeführer erstmals Informationen über die Existenz von Halbgeschwistern des Erblassers bekommen und daraufhin seine Erbausschlagung angefochten. Es ging hier also um eine "Tatsache" oder "Sachlage", bei deren Kenntnis "und bei verständiger Würdigung des Falles" (d.h. bei Kenntnis und zutreffender Wertung der Sach- und Rechtslage) er die Ausschlagung seines Erbes (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) unterlassen hätte. Die rechtliche Wertung als nicht der Anfechtung unterliegender Motivirrtum wäre im Ansatz nur richtig, wenn in dem Verfahren festgestellt worden wäre, dass dem Beschwerdeführer zwar die Existenz von Halbgeschwistern des Vaters zum Zeitpunkt seiner Ausschlagung bekannt gewesen ist, er sich aber "nur" über deren Einordnung in die gesetzliche Erbreihenfolge geirrt hätte. Tatsächlich scheint ihm aber erst nach der Erbausschlagung bekannt geworden zu sein, dass es diese Personen gibt. Wäre der BGH von diesem Sachverhalt ausgegangen, die Beschlussgründe sagen darüber leider nichts, hätte er eigentlich den "Fall" unter § 119 BGB subsumieren und damit die Rechtswirkung der Anfechtung anerkennen müssen. Der "Irrtum" bzw. die diesen Irrtum bewirkende "Unkenntnis" des Beteiligten zu 2) ist also kein für die Anwendung des § 119 BGB irrelevanter "Motivirrtum". Er weist dagegen alle Merkmale eines der Anfechtung nach § 119 BGB ausgesetzten "Sachverhalts- bzw. Tatbestandsirrtums" über die ihm unbekannte Existenz von Personen auf, die im Fall seiner Erbausschlagung an seine Stelle als Miterben seines Vaters treten würden. Die Anfechtbarkeit dieses Irrtums kann m.E. auch nicht mit dem Hinweis des BGH auf § 1953 BGB abgetan werden. Denn der "Irrtum" des Erklärenden bei seiner Erbausschlagung bezog sich eben gerade nicht auf die Rechtsfolge, dass sein Erbrecht auf den gesetzlich Nächstberufenen übergehen werde. Sein "Irrtum" bestand in der einfachen und schlichten (wohl auch: unverschuldeten) "Unkenntnis" darüber, dass es überhaupt eine oder mehrere andere Personen neben seiner Mutter gibt (oder sogar: geben könnte), die bei seiner Erbausschlagung an seine erbrechtliche Stelle treten würden. Diese "Personenunkenntnis", also sein Irrtum i.S.d. § 119 BGB, war die einzige Grundlage seiner Anfechtungserklärung. Er durfte sich m.E. daher zu Recht da...