1. Für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer wird eine Stiftung bei der Übertragung von Vermögen als juristische Person und daher grundsätzlich wie ein fremder Dritter behandelt. Damit wäre grundsätzlich gem. § 15 Abs. 1 ErbStG die ungünstige Steuerklasse III anwendbar. Es würde lediglich ein Freibetrag von 20.000,00 EUR gewährt werden, § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG. Bei der Errichtung einer Familienstiftung gilt hingegen, dass für die Steuerklasse das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Satzung "entferntest Berechtigten" zu dem Stifter zugrunde zu legen ist, § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Die Bestimmung des "entferntest Berechtigten" war Gegenstand der zugrunde liegenden Entscheidung.
2. Der BFH bestätigt in seiner Entscheidung die Rechtsauffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts zum Übergang von Vermögen auf Familienstiftungen. Danach ist für die Bestimmung der anwendbaren Steuerklasse und des Freibetrags als "entferntester Berechtigter" i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG derjenige anzusehen, der nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensteile aus der Stiftung erhalten kann. Die Entscheidung bestätigt zudem nicht nur die vorinstanzliche Entscheidung, sondern auch die Auffassung der Finanzverwaltung (R E 15.2 Abs. 1 S. 2 ErbStR 2019).
3. Für die Entscheidung maßgeblich sind die folgenden beiden Vorschriften: Nach § 7 Abs. 1 Nr. 8 S. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden der Übergang von Vermögen aufgrund eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden. Nach § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG ist in diesem Fall bei der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde "entferntest Berechtigten" zu dem Erblasser oder Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland errichtet ist.
4. Die Bestimmung des "entferntest Berechtigten" erfolgt danach, wer nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile aus dem Stiftungsvermögen erhalten soll. Nach Auffassung des BFH kommt es auch nicht darauf an, ob die nach der Stiftungssatzung bestimmbaren "entferntest Berechtigten" zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftungssatzung bereits geboren sein müssen, jemals geboren werden oder tatsächlich finanzielle Leistungen aus der Stiftung erhalten werden. Dies gibt der Wortlaut des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG nicht her. "Entferntest Berechtigte" sind diejenigen, die – ohne einen klagbaren Anspruch haben zu müssen – nach der Satzung Vermögensvorteile aus der Stiftung erlangen können. Werden daher – wie in der zugrunde liegenden Entscheidung – in der Stiftungssatzung die "weiteren Abkömmlinge" als mögliche Berechtigte aufgeführt, so ist auf diese abzustellen. Das Abstellen auf die nachfolgenden Generationen ("Urenkelgeneration") hat zunächst keine unmittelbare Folge für die Steuerklasse, da nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch die Abkömmlinge der Kinder und Stiefkinder der Steuerklasse I zuzuordnen sind. Erhebliche Auswirkungen ergeben sich allerdings aus § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG: Danach ist den übrigen Personen der Steuerklasse I nur ein Freibetrag von 100.000,00 EUR zu gewähren.
5. Für die (Gestaltungs-) Praxis folgt aus der Entscheidung, dass eindeutige und klare Formulierungen hinsichtlich des Stiftungszwecks getroffen werden sollten. Unklare Formulierungen, wie z.B. "Zweck der Stiftung ist die finanzielle Unterstützung der Familie des Stifters", sollten mit Blick auf die zugrunde liegende Entscheidung vermieden werden.
6. Ergänzend zu der Entscheidung sei noch darauf hingewiesen, dass die Finanzverwaltung bei einer späteren Änderung der Stiftungssatzung durch Erweiterung des Kreises der Begünstigten (Destinatäre), die einer ungünstigeren Steuerklasse zuzuordnen sind, steuerlich die Errichtung einer neuen Stiftung annimmt (R E 1.2 Abs. 4 S. 2 ErbStR 2019). Die Erweiterung des Personenkreises durch Satzungsänderung steht daher nach Auffassung der Finanzverwaltung einer Änderung des Stiftungscharakters gleich.
7. Im Zusammenhang mit § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG sei darüber hinaus noch auf Folgendes hingewiesen: Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG gilt das Steuerklassenprivileg nur für inländische Familienstiftungen. Im Fall der Errichtung einer ausländischen Familienstiftung durch einen in Deutschland ansässigen Stifter findet eine Einordnung in die ungünstige Steuerklasse III statt. Mit dieser Fragestellung hatte sich u.a. bereits das FG Köln (Beschl. v. 30.11.2023 – 7 K 217/21) auseinanderzusetzen. Das FG Köln hat im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die unterschiedliche Behandlung von inländischen und solchen im EWR-Wirtschaftsraum ansässigen Stiftungen gegen Unionsrecht verstößt (Az. des Vorlageverfahrens beim EuGH: C-142/24.).
Jonas Uricher, Rechtsanwalt, URICHER Rechtsanwälte, Konstanz
ZErb 10/2024, S. 378 - 381