Fall 4: § 2306 BGB: Inhaltsirrtum über die Rechtsfolgen der Annahme B war von ihrer Mutter E testamentarisch als Miterbin (über der Pflichtteilsquote) eingesetzt, allerdings mit umfassenden Vermächtnissen beschwert worden. Von dem Inhalt der letztwilligen Verfügung erfuhr B im März 2012. Im Juni 2012 focht B die Versäumung der Ausschlagungsfrist an: Sie habe geglaubt, dass sie mit einer Ausschlagung keinerlei Beteiligung am Nachlass erhielte.
Nach § 2306 BGB verhält es sich genau umgekehrt: Nur im Fall einer Ausschlagung steht B ein Pflichtteil zu. Nachdem die Frist nach § 1944 BGB längst abgelaufen war, kam es entscheidend darauf an, ob B die Versäumung der Frist anfechten konnte. Denkbar war die Annahme eines Rechtsfolgenirrtums über die Folgen der Nichtausschlagung. Dabei war die Grenze zwischen einem unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum und einem beachtlichen Inhaltsirrtum (über die Rechtsfolgen) zu ziehen. Letzterer begründet ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 BGB. Teilweise wurde in der Literatur ein solches Anfechtungsrecht aufgrund des seit der Reform im Jahr 2010 eindeutigen Wortlauts von § 2306 abgelehnt, teilweise weiterhin befürwortet. Auch der BGH sah dies so und hielt an seiner auf der Grundlage des alten Rechts entwickelten großzügigen Linie fest: Auch auf der Grundlage des neuen Rechts komme ein Irrtum des Erben darüber, dass er die Erbschaft ausschlagen müsse, um nach § 2306 BGB seinen Pflichtteil fordern zu können, durchaus in Betracht. Dies liegt gerade für den rechtlich nicht beratenen Erben ungeachtet des Wortlauts von § 2306 BGB auf der Hand. Allenfalls kann man dem Erben vorwerfen, keinen Rechtsrat eingeholt zu haben. Dies ist aber für die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB irrelevant.
Fall 5: § 2308 BGB: Anfechtung der Ausschlagung Erbe A glaubt sich durch ein Vermächtnis beschwert und erklärt vor dem Nachlassgericht die Ausschlagung der Erbschaft. Später stellt sich heraus, dass das Vermächtnis unwirksam war.
A wollte mit der Ausschlagung erreichen, dass ihm ein Pflichtteilsanspruch unter Einbeziehung des vermeintlich vermachten Gegenstands zusteht. Nachdem sich nun herausgestellt hat, dass das Vermächtnis ihn gar nicht beschwert hat, erweist sich diese Ausschlagung nicht nur als unnötig. Sie schadet A vielmehr doppelt, weil er sein in Wahrheit unbeschwertes Erbrecht verliert und ohne eine solche Beschwerung nach § 2306 BGB gar keinen Pflichtteilsanspruch erlangt. A steht also mit leeren Händen da.
In diesem Fall kann A die Ausschlagung ausnahmsweise nach § 2308 BGB anfechten. Zwar unterliegt er keinem nach §§ 119 ff BGB relevanten Irrtum. Die Annahme, das beschwerende Vermächtnis sei wirksam, stellt ein reines Motiv dar. § 2308 BGB gewährt ihm gleichwohl ein Anfechtungsrecht. Damit ist A wieder Erbe geworden.
Fall 6: Anfechtung der Annahme "analog § 2308 BGB" – § 119 Abs. 2 BGB Erbe A weiß nichts von dem beschwerenden Vermächtnis und beantragt einen Erbschein. Später stellt sich heraus, dass es ein Vermächtnis gibt.
Hätte A sich, wie in obigem Fall, BGH NJW 1989, 2885, konkrete Gedanken über die Gültigkeit eines bekannten Vermächtnisses gemacht, könnte A die Annahme der Erbschaft nach § 119 Abs. 2 BGB anfechten. Soweit nun aber A gar keine Kenntnis von dem Vermächtnis hatte, muss man ihm ebenfalls ein Anfechtungsrecht zubilligen, auch wenn seine diffuse Vorstellung nicht generell für eine Anwendung von § 119 Abs. 2 BGB ausreichen sollte. § 2308 BGB ist als Ausnahmevorschrift zwar nicht analog anwendbar. Das gewollte Ergebnis einer Anfechtbarkeit erreicht man aber, indem § 119 Abs. 2 BGB Berücksichtigung findet.
Fall 7: § 119 Abs. 1 Alt 1 BGB: Inhaltsirrtum (Annahme) Erbe A befindet sich im Ausland, als er von dem Tod seines Vaters erfährt. Er begleicht die offene Rechnung seines verstorbenen Vaters noch während der Ausschlagungsfrist. Er glaubt dazu einstweilen verpflichtet zu sein. Später ergibt einer nähere Bewertung des Nachlasses dessen Überschuldung.
Eine Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach § 119 Abs. 2 BGB kommt allein aufgrund des Bewertungsirrtums nicht in Betracht. Denkbar ist aber innerhalb der Frist von § 1944 Abs. 3 BGB immer noch eine Ausschlagung, sofern dieser nicht eine vorherige Annahme der Erbschaft entgegensteht. Durch die Begleichung der Nachlassverbindlichkeit hat A die Erbschaft konkludent angenommen, soweit die Zahlung nach den Umständen des Falles über die laufende Verwaltung hinausgeht und daher nicht der Fürsorge des nur vorläufigen Erben oblag. Dabei hatte A aber gerade nicht den Willen, die Erbschaft auch behalten zu wollen. Eine Anfechtung der Annahme ist daher möglich. Diese gilt zugleich als Ausschlagung, § 1957 Abs. 1 BGB.