Leitsatz
1. Im Rahmen des § 18 Abs. 2, 2. Halbs. BNotO hat die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist (Fortführung von Senatsbeschluss vom 10. März 2003 – NotZ 23/02, DNotZ 2003, 780, 781, juris Rn. 22).
2.Dabei ist nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, aber nicht (auch nicht nur mittelbar) darüber, ob überhaupt und wie der bei einer stattgebenden Entscheidung von seiner Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar dem Antragsteller die erstrebte Information zu verschaffen hat.
3. Mit dem Tod entfällt das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens den gesetzlichen Erben gegenüber insoweit, als der letzte Wille diese betrifft. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch letztere informiert werden.
BGH, Urt. v. 20.7.2020 - NotZ(Brfg) 1/19
1 Tatbestand:
1. Die Parteien streiten über die Befreiung eines Notars von seiner beruflichen Verschwiegenheitspflicht.
Der Kläger ist Sohn aus erster Ehe des am 7.1.2016 verstorbenen A.S. Dieser setzte nach dem beim Nachlassgericht verwahrten Dokument in einem von dem Notar T. beurkundeten gemeinschaftlichen Testament vom 21.8.2012 mit seiner zweiten Ehefrau die Kinder aus zweiter Ehe zu Erben des Letztversterbenden ein. Die zweite Ehefrau ist bereits im Jahr 2015 verstorben.
Aufgrund der Testamentseröffnung im Februar 2016 erfuhr der Kläger von seiner Enterbung. Nachdem er sich erfolglos bei dem Notar um Einsichtnahme in die in dessen Akten verbliebene (beglaubigte) Abschrift des Testaments bemüht hatte und die Westfälische Notarkammer ihn auf die notarielle Verschwiegenheitspflicht hingewiesen hatte, beantragte der Kläger bei dem Beklagten, den Notar gemäß § 18 Abs. 2 BNotO von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Zur Begründung führte er aus, er wolle das bei dem Nachlassgericht eingereichte Original mit der beim Notar befindlichen "Ablichtung" des Testaments vergleichen, da es aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds des Originals Anzeichen dafür gebe, dass Seiten des Originals ausgetauscht worden seien. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9.8.2017 mit der Begründung ab, es sei nicht erkennbar, dass es im mutmaßlichen Willen des Erblassers gelegen haben könnte, rein spekulativen Manipulationsvermutungen durch Nachprüfung der beim Notar verbliebenen Ablichtung nachzugehen. Die Einwände des Klägers hiergegen hat der Beklagte unter anderem mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Geheimhaltungsinteresse des Erblassers am Inhalt des Testaments mit seinem Tod nur gegenüber dem tatsächlichen Erben, nicht aber gegenüber in Betracht kommenden Erbprätendenten entfalle.
2. Mit seiner Klage zum Oberlandesgericht hat der Kläger beantragt, den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 9.8.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Notar T. von seiner notariellen Schweigepflicht zu befreien "zwecks Einsichtnahme in das notarielle Testament des Vaters des Klägers vom 21.8.2012, UR-Nr. 115/2012". Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
3. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dahinstehen lassen, ob die Verpflichtungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig sei, weil der Notar angesichts des bisherigen Ablaufs nicht bereit sein werde, die gewünschte Einsicht auch bei Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht zu gewähren. Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht habe. Die Entscheidung hierüber habe sich danach auszurichten, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an der weiteren Geheimhaltung entfallen sei. Ein etwaiges Interesse des Vaters des Klägers an der Geheimhaltung seines letzten Willens sei zwar notwendig mit dem Eintritt des Erbfalls entfallen. Gleichwohl habe der Beklagte ermessensfehlerfrei ein maßgebliches Interesse der Urkundsbeteiligten an einer Einsichtnahme des Klägers in die Urkundensammlung und damit die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht verneint. Der Kläger habe keine überzeugende Begründung für die Vermutung der Manipulation des Testaments vorgebracht. Dass die Urkundsbeteiligten, zu denen auch die zweite Ehefrau gehöre, zur Überprüfung eines solchen vagen Verdachts dem Kläger Einsicht in die Urkundensammlung des Notars gestattet hätten, sei nicht ersichtlich. Hinzu komme, dass sich der Notar weigere, dem Kläger Einsicht in seine Unterlagen zu gewähren. Ein ...