Folgt man der hier vertretenen Ansicht, den Beschluss über die Erteilung eines Erbscheins nach §§ 2353 ff BGB, 352 Abs. 1 FamFG nicht als "Entscheidung" iSv Art. 3 Abs. 1 lit. g EU-ErbVO anzusehen und ihn damit aus dem Anwendungsbereich der Artt. 4 ff EU-ErbVO herauszunehmen, so führt dies zu folgenden Konsequenzen:
I. Möglichkeit der Erteilung von Fremdrechtserbscheinen
Auch wenn das deutsche Nachlassgericht bei der Erteilung eines Erbscheins nicht an die Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der EU-ErbVO (Artt. 4 ff EU-ErbVO) gebunden ist, hat es das anwendbare Sacherbrecht – vom Sonderfall des Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO abgesehen – kollisionsrechtlich nach dem Kapitel III der EU-ErbVO zu bestimmen. Hieraus folgt, dass die Erteilung eines Fremdrechtserbscheins weiterhin möglich ist – während sie nach der hier abgelehnten Gegenansicht wegen des "Gleichlaufs" von forum und ius (Artt. 4, 21 Abs. 1 EU-ErbVO) regelmäßig ausgeschlossen wäre.
II. Inhaltlicher Widerspruch zwischen ENZ und Erbschein
Nach der hier vertretenen Ansicht kann es zur Erteilung eines Erbscheins nach §§ 2353 ff BGB, §§ 105, 343, 352 Abs. 1 FamFG in Deutschland kommen, der einem im Mitgliedstaat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers nach Art. 64 Satz 1 EU-ErbVO iVm Art. 4 EU-ErbVO ausgestellten ENZ inhaltlich widerspricht. Ein solcher Widerspruch kann etwa auftreten, wenn einer der beiden Ausstellungsbehörden bei der Rechtsanwendung ein Fehler unterläuft. Auch ohne Rechtsanwendungsfehler erscheint ein Widerspruch denkbar bei selbstständiger Anknüpfung güterrechtlicher Vorfragen und bei vorrangigen Übereinkommen mit Drittstaaten nach Art. 75 Abs. 1 EU-ErbVO.
1. Wegfall der Vermutungs- und Gutglaubenswirkung
Wie der Widerspruch zwischen nationalem Erbrechtszeugnis und ENZ aufzulösen ist, betrifft die Reichweite des Art. 69 Abs. 1 EU-ErbVO und ist daher eine verordnungsautonom zu beantwortende Frage. Da das ENZ gemäß Art. 62 Abs. 3 Satz 1 EU-ErbVO nicht an die Stelle der nationalen Erbrechtszeugnisse tritt, kann dabei den Wirkungen des ENZ nicht automatisch der Vorrang zukommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass nationale Erbrechtszeugnisse und ENZ prinzipiell gleichwertig sind. Der Widerspruch zwischen beiden sollte folglich dergestalt aufgelöst werden, dass man – ähnlich wie im Falle eines Widerspruchs zwischen zwei deutschen Erbscheinen – beiden Erbrechtszeugnissen die Vermutungs- und Gutglaubenswirkung versagt.
2. Entscheidung durch Feststellungsurteil des Prozessgerichts
Die Frage nach der Erbfolge muss sodann – wie sich auch aus Erwägungsgrund 66 Satz 2 ergibt – in einem streitigen Verfahren entschieden werden, das auf die Feststellung des Erbrechts gerichtet ist, in einer "Entscheidung" iSv Art. 3 Abs. 1 lit. g EU-ErbVO mündet und für das somit die Zuständigkeitsvorschriften der Artt. 4 ff EU-ErbVO gelten. Das Urteil des Prozessgerichts bindet dann, soweit es zwischen den Beteiligten des Erbscheinsverfahrens in Rechtskraft erwachsen ist, sowohl die zur Erteilung des ENZ zuständige Stelle als auch – gemäß Art. 39 Abs. 1 EU-ErbVO – das zur Erteilung des Erbscheins nach §§ 105, 343 FamFG zuständige deutsche Nachlassgericht.
Sofern dem deutschen Nachlassgericht bereits vor Erteilung des Erbscheins bekannt wird, dass vor dem gemäß Art. 4 EU-ErbVO zuständigen ausländischen Prozessgericht ein streitiges Verfahren anhängig ist, hat es das Erbscheinsverfahren – ebenso wie im Falle einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO vor einem deutschen Prozessgericht – gemäß § 21 Abs. 1 FamFG auszusetzen.