Leitsatz
Das Nachlassgericht ist im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht ausnahmsweise dann zur Aufklärung des Sachverhalts im Strengbeweisverfahren verpflichtet, wenn eine besonders gründliche Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist. Dies ist beispielsweise bei einem nicht mehr im Original auffindbarem Testament der Fall.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 11 Wx 78/14
Sachverhalt
Die Beteiligte zu 1 gab am 18.11.2013 die Kopie eines auf den 3.5.2004 datierenden und mit der Überschrift "Gemeinschaftliches Testament der Eheleute S." versehenen Schriftstücks beim Nachlassgericht ab und erklärte, dass das Original des Testaments nicht auffindbar sei. In dem am 28.11.2013 eröffneten Dokument heißt es auszugsweise:
"Ich, Herr R. S. bin am (...) in M., jetzt K. geboren. "
Ich Frau M. S., geb. O. bin am (...) in B. geboren.
Wir sind seit dem (...) miteinander verheiratet …
Erbeinsetzung:
Wir setzen uns hiermit bezüglich unserem gesamten Vermögen gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Der überlebende Teil ist unbeschränkter Vollerbe, falls er nicht wieder heiratet. … Als Nacherben bestimmen wir unseren gemeinschaftlichen ehelichen Sohn M. S., geb. am (...) als alleinigen Erben …
Pflichtteil:
Unser Sohn R. S., geb. am (...) wird auf den Pflichtteil verwiesen. Schenkungen die er zu Lebzeiten von uns erhalten hat oder Zahlungen welche wir für ihn zur Tilgung seiner Schulden erbringen mussten … sollen als Vorausempfänge auf diesen Pflichtteil angerechnet werden.
Dieses Testament wurde handschriftlich von Frau M. S. am 3.5.2004 geschrieben und von beiden Ehegatten eigenhändig unterschrieben.“
Am Ende befindet sich die Unterschrift der Beteiligten zu 1. Ob der darunter befindliche Namenszug vom Erblasser geschrieben wurde, ist zwischen den Beteiligten umstritten.
Mit Schriftsatz vom 12.2.2014 beantragte die Beteiligte zu 1 einen Alleinerbschein zu ihren Gunsten. Sie erklärte, dass der Erblasser und sie nach der Privatinsolvenz des Beteiligten zu 2 als Mitschuldner aus einem Darlehensvertrag in Anspruch genommen worden seien. Sie hätten sich deshalb im Frühjahr 2004 bei Herrn Rechtsanwalt K. in K. beraten lassen. Dieser habe den Text des Testaments vorformuliert. Gemeinsam hätten die Eheleute den Text geschrieben und unterzeichnet. Kopien des Testaments seien gefertigt worden, um sie den Kindern auszuhändigen, wovon man aber wieder Abstand genommen habe, um Ärger zu vermeiden. Das Original habe man einvernehmlich unter "der Tischdecke mit der Nähmaschine darauf im Vorraum zwischen Küche und Bad" des Hauses aufbewahrt. Die Kopien seien in einer Schublade unterhalb der Nähmaschine gewesen. Das Verschwinden des Testaments sei für sie unerklärlich. Als Anlage wurde ein Begleitschreiben von Herrn Rechtsanwalt K. vom 3.5.2004 vorgelegt, in dem Herr RA K. angibt, einen beigefügten Testamentsentwurf zu übersenden.
Der Beteiligte zu 2 ist dem Erbscheinsantrag wegen des Fehlens des Originals des Testaments und unter Hinweis darauf, dass die Echtheit der Unterschrift des Vaters bezweifelt werde, entgegengetreten.
Gestützt auf eine eidesstattliche Versicherung der Beteiligten zu 1, nicht im Besitz des Originaltestaments vom 3.5.2004 zu sein, das Testament mit dem Erblasser gemeinsam errichtet zu haben und angeben zu können, dass die Unterschrift vom Erblasser stamme, hat das Nachlassgericht am 8.7.2014 einen Erteilungsbeschluss zugunsten der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin erlassen.
Gegen den dem Beteiligten zu 2 am 25.7.2014 zugestellten Beschluss hat dieser am 22.8.2014 Beschwerde eingelegt. Dabei rügte er, dass das Nachlassgericht den Sachverhalt lediglich im Freibeweis ermittelt habe und die Unterschrift des Erblassers mit Blick auf die Vergleichsunterschrift auf dem "Antrag auf Übernahme eines Bausparvertrags" der L. nach Anlage A1 nicht echt sein könne. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nach Rückgabe der Akten durch den Senat durch begründeten Beschluss vom 27.10.2014 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat die Beteiligten zu 1 und 2 persönlich angehört und ein Schriftsachverständigengutachten eingeholt (Beschluss vom 21.4.2015). Zum Ergebnis der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.4.2015 verwiesen. Hinsichtlich des Ergebnisses des Schriftgutachtens wird auf das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. vom 7.8.2015 Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zwar hat das Nachlassgericht das Verfahren erster Instanz nicht ordnungsgemäß betrieben (unter 1.). In der Sache ist dem Nachlassgericht nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme jedoch darin zuzustimmen, dass der Erblasser aufgrund des von ihm und der Beteiligten zu 1 formgerecht errichteten eigenhändigen Ehegattentestaments vom 3.5.2004 durch die Beteiligten zu 1 beerbt worden ist (unter 2.).
1. Das Verfahren erster Instanz leidet an einem gravierenden Verfahrensfehler zum Nachteil des Beteiligten zu 2. Die vom Nachlassgericht durchgeführte Beweisaufnahme durft...