Leitsatz
1. Eine bereits erfolgte Erteilung eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnises lässt den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Nachlassverzeichnisses nicht entfallen. Ausschließlich in begründeten Ausnahmefällen kann der Erbe der Forderung eines notariellen Nachlassverzeichnisses den Einwand des Rechtsmissbrauchs oder der Schikane entgegensetzen. Hier ist ein strenger Maßstab anzusetzen.
2. Ist ein Aktivnachlass, dem die Notarkosten entnommen werden können, nicht vorhanden, so kann der Erbe die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses unter Berufen auf § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB verweigern. Bietet der Pflichtteilsberechtigte jedoch an, die Notarkosten selbst zu begleichen und bereits im Voraus an den Notar zu entrichten, so ist dem Erben ein Berufen auf die Dürftigkeitseinrede gem. § 242 BGB verwehrt.
OLG München, Urteil vom 1. Juni 2017 – 23 U 3956/16
Sachverhalt
Der Kläger macht als Pflichtteilsberechtigter im Wege der Stufenklage Ansprüche gegen die Beklagte als Erbin geltend. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers, der Kläger ein Sohn. Mit Erbvertrag vom 11.11.2003 (Anlage K 1) und Nachtrag vom 19.3.2012 (Anlage K 3) setzten der Erblasser und die Beklagte sich gegenseitig als Alleinerben nach dem Tod des Erstverstrebenden und als Schlusserben den anderen Sohn der Beklagten und dessen Tochter ein. Die Beklagte übersandte mit Schreiben vom 19.2.2015 (Anlage K 6) dem Kläger ein Nachlassverzeichnis mit Belegen und erteilte mit Schreiben vom 14.4.2015 weitere Auskünfte über den Nachlass.
Der Kläger behauptet, die erteilten Auskünfte seien lückenhaft.
(...)
Die Beklagte behauptet, sie habe bereits vollständig über den Nachlass Auskunft erteilt. Zudem sei der Nachlass überschuldet und das Vorgehen des Klägers rechtsmissbräuchlich.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Beklagte durch Teilurteil verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines durch einen Notar auf Kosten des Klägers aufgenommenen Verzeichnisses, bei dessen Aufnahme der Rechtsbeistand des Klägers anwesend ist. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. (Auskunftserteilung) abgewiesen. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs sei nicht rechtsmissbräuchlich. Allerdings führe die Erhebung der Dürftigkeitseinrede durch die Beklagte dazu, dass das notarielle Nachlassverzeichnis auf Kosten des Klägers zu erstellen sei.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Der Antrag des Klägers sei rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte die Auskünfte schon erteilt habe und ein notarielles Nachlassverzeichnis keine höhere Gewähr für die Richtigkeit biete. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Dürftigkeit des Nachlasses durch Erstellung eines Inventarverzeichnisses oder durch eine eidesstattliche Versicherung nachzuweisen. Der Kläger habe auch dann keinen Anspruch auf ein notarielles Verzeichnis, wenn er sich bereit erkläre, die Kosten dafür zu übernehmen. (...)
Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. (...)
Aus den Gründen
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, verbleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist die Berufungssumme nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Auf den Beschluss des Senats vom 4.1.2017 (Bl 74 ff dA) wird Bezug genommen.
2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
2.1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung eines notariellen Verzeichnisses aus § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB zu.
2.1.1. Der Kläger ist unstreitig Pflichtteilsberechtigter, die Beklagte die Alleinerbin.
2.1.2. Das Verlangen des Klägers ist nicht rechtsmissbräuchlich.
2.1.2.1. Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses wird nicht dadurch berührt, dass der Erbe bereits ein privates Verzeichnis vorgelegt hat. Vielmehr kann der Pflichtteilsberechtigte die Ansprüche auf Erteilung eines privaten und eines notariellen Verzeichnisses neben- oder hintereinander geltend machen (BGH NJW 1961, S. 602, 604; OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller in Beckscher Online-Kommentar BGB, Stand 1.8.2016, § 2314 Rn 22; Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl., § 2314 Rn 7). Das Verlangen nach einem notariell aufgenommenen Verzeichnis ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wenn zuvor ein privates Verzeichnis vorgelegt wurde. Denn dem notariell aufgenommenen Verzeichnis kommt eine größere Richtigkeitsgarantie zu (BGH NJW 1961, S. 602, 604; OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, S. 881 f; Müller, aaO, Rn 23). Der Notar ist für dessen Inhalt verantwortlich, hat den Verpflichteten zu belehren und ist in gewissem Umfang zur Vornahme eigener Ermittlungen und Überprüfung der Richtigkeit der Angaben des Erben verpflichtet (BGH NJW 1961, S. 602, 604; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2007, S. 881, 882; OLG Koblenz, NJW 2014, S. 1972 f; Müller, aaO, Rn 23). Je nach Einzelfall hat der Notar beispielsweise das Grundbuch einzusehen und ggf. Bankunterlagen anzufordern (O...