Leitsatz
Nach dem Tod seines ehemaligen Mandanten ist der Rechtsanwalt, dem im Rahmen eines Mandates ein Geheimnis anvertraut wurde, gehalten, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er sich im Zivilprozess auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO beruft.
Hat der Erblasser hierzu vor seinem Tod keine Aussagen getroffen, ist dessen mutmaßlicher Wille zu erforschen. Dem Rechtsanwalt steht hierbei ein Ermessensspielraum zu, dessen Einhaltung durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar ist. Der Rechtsanwalt darf sich jedoch nicht ausschließlich auf allgemeine Erwägungen stützen.
OLG München, Zwischenurteil vom 24. Oktober 2018 – 13 U 1223/15
Sachverhalt
Die Parteien des Zwischenstreits streiten über die Berechtigung des Antragsgegners, gem. § 383 Abs. 1 Nr.6 ZPO das Zeugnis zu verweigern.
In der Hauptsache verlangt die Klägerin im Rahmen einer erbrechtlichen Auseinandersetzung von der Beklagten die Auflassung eines Reihenhauses und einer Garage in München. Dabei stützt sie sich auf eine privatschriftliche letztwillige Verfügung des Erblassers M. H. aus dem Jahre 2008. Wie diese auszulegen sei, ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere die Frage, ob in dem Testament ein Vorausvermächtnis angeordnet wurde oder ob es sich um eine Teilungsanordnung handelt. Der Antragsgegner hatte in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt den Erblasser erbrechtlich beraten. Zwischen den Parteien des (Haupt-) Rechtsstreits ist unstreitig, dass der Erblasser das streitgegenständliche privatschriftliche Testament sodann selbst errichtete.
Die Antragstellerin hatte den Antragsgegner als Zeugen für den (Begünstigungs-) Willen des Erblassers benannt (vgl. Schriftsätze vom 18.2. und 26.5.2015).
Sie ist der Auffassung, es entspreche dem mutmaßlichen Willen des Erblassers, dass sein bisheriger Rechtsbeistand Auskunft über den Erblasserwillen erteilt. Der Zeuge könne sich daher nicht auf seine anwaltliche Schweigepflicht berufen und das Zeugnis verweigern, daher bestehe sie auf der Vernehmung des Zeugen.
(...)
Der Antragsgegner trägt vor, es seien keine objektivierbaren Erkenntnisse gegeben, die eine Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht rechtfertigen würden. Sein ehemaliger Mandant habe zum Beispiel nicht gewollt, dass Anwaltsschriftsätze zu ihm nach Hause geschickt werden. Gesprächsinhalte sollten geheim bleiben. Er habe den Erblasser im Jahre 2007 anwaltlich beraten und einen Testamentsentwurf erstellt. Ob dieser umgesetzt worden sei, entziehe sich seiner Kenntnis. Er fühle sich an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden und wolle deshalb nicht als Zeuge aussagen.
Mit Beschluss vom 20.9.2018 entschied der Senat nach Zustimmung der Parteien des Zwischenstreits, dass im schriftlichen Verfahren entschieden werde, setzte eine Frist von 2 Wochen zur Stellungnahme und bestimmte Verkündungstermin auf den 24.10.2018. Die Antragstellerin nahm (nochmals) Stellung mit Schriftsatz vom 9.10.2018.
Aus den Gründen
1. Gemäß § 387 Abs. 1 ZPO ist über die Rechtmäßigkeit der Weigerung des Zeugen, auszusagen, im Zwischenstreit zu entscheiden. Die Entscheidung ergeht vorliegend im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO, da die Parteien ihr Einverständnis hiermit erteilt haben.
2. Dem Antragsgegner und Zeugen steht kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Bezug auf den Erblasser M. H. zu.
a) Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO steht dem Rechtsanwalt ein Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf alle Tatsachen zu, die ihm im Rahmen eines Mandatsverhältnisses anvertraut wurden. Anvertraut sind nicht nur Tatsachen, bei denen der Wunsch nach Vertraulichkeit ausdrücklich ausgesprochen wird; es genügt auch das stillschweigende Verlangen nach Geheimhaltung (vgl. MüKo-ZPO/Damrau ZPO, 5. Aufl. 2016, § 383 Rn 33, beck-online). Das Zeugnisverweigerungsrecht betrifft nicht nur schriftliche oder mündliche Mitteilungen, sondern es erstreckt sich auch auf alle sonstigen Umstände, die der Rechtsanwalt aufgrund und im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit erfährt (vgl. MüKo-ZPO aaO Rn 32). Dem Zeugnisverweigerungsrecht im Prozess entspricht eine Pflicht zur Verschwiegenheit dem Mandanten gegenüber, deren Verletzung gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB mit Strafe bedroht ist.
b) Dabei wirkt die Schweigepflicht grundsätzlich über den Tod des Mandanten hinaus (vgl. BGHZ 91, 392, 398; BayObLG, Beschluss vom 21.8.1986, BReg 1 Z 34/86 = NJW 1987, 1492; BayObLG, Beschluss vom 2.3.1966, BReg. 1 a Z 76/65 = NJW 1966, 1664; MüKo-ZPO aaO Rn 36; jeweils zitiert nach beck-online; vgl. auch Nr. 2.2.3 CCBE). Das Verfügungsrecht geht nicht auf die Erben über (vgl. Henssler/Prütting BRAO/ Offermann-Burckart, 4. Aufl., Rn 12 zu 2.3 CCBE), da die Pflicht zur Verschwiegenheit dem Schutz der Geheimsphäre des Einzelnen dient. Deshalb kann grundsätzlich nur derjenige von der Schweigepflicht entbinden, zu dessen Gunsten sie besteht (vgl. MüKo-ZPO/Damrau ZPO § 385 Rn 7, beck-online).
Soweit die Auffassung vertreten wird, da Vermögensrechte vererblich seien, gelte dies auch für das ...