Auf einen Blick

Der Weg über ein Erbscheinsverfahren statt eines kontradiktorischen Feststellungsprozesses bietet Erbprätendenten zur Klärung der Erbfolge den Vorteil der Amtsermittlung und der nicht bestehenden Beweisführungslast um den Preis der nicht rechtskräftigen Entscheidung. Was nach Erleichterung der Beweisführung aussieht, ist zunächst einmal durch eine formalisierte Beweisführungspflicht erschwert: So müssen die Angaben der §§ 352 Abs. 1 und 2, 352 a FamFG gemacht und durch öffentliche Urkunden bzw. eidesstattliche Versicherung nachgewiesen werden. Der Grundsatz der Amtsermittlung verpflichtet das Gericht ferner nicht, allen theoretisch denkbaren Möglichkeiten von Amts wegen nachzugehen, sondern eine Aufklärung des Sachverhalts ist erst dann geboten, wenn der Sachverhalt oder der Vortrag der Beteiligten dazu Anlass geben. Gibt der vorgetragene Sachverhalt insoweit also nichts her, trägt der Antragsgegner zwar keine Beweisführungslast wie im Zivilprozess; er muss aber gleichwohl hinreichend konkrete Tatsachen vortragen, die beim Nachlassgericht Zweifel an den anspruchsbegründenden Tatsachen aufkommen lassen. Enthält ein notarielles Testament bspw. keine Anhaltspunkte, die gegen eine Testierfähigkeit sprechen und stand der Erblasser auch nicht unter Betreuung oder ist dies dem Nachlassgericht zumindest nicht bekannt, so wird derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments nach § 2229 Abs. 4 BGB beruft, ein konkret auffälliges symptomatisches Verhalten des Erblassers in zeitlicher Nähe zur Testamentserrichtung vortragen müssen. Dabei genügt auf der einen Seite ein pauschaler Vortrag, der Erblasser sei "geschäftsunfähig" gewesen, nicht. Auf der anderen Seite schließen weder eine Notarklausel, psychologische Kurztests oder ein Attest, die die Testierfähigkeit "feststellen", Ermittlungen aus. Das Gericht wird zunächst im Freibeweisverfahren durch Einholung von Betreuungs- und Krankenakten und Befragung von Ärzten, Pflegepersonal und sonstigen Zeugen prüfen, ob sich die vorgetragenen Zweifel an der Testierfähigkeit erhärten oder zerstreuen. Dabei darf es nicht zu einer vorweggenommenen Beweiswürdigung kommen. So sich die Zweifel nicht eindeutig zerstreuen, z. B. weil sich herausstellt, dass es das angebliche symptomatische Verhalten nie gegeben hat, hat das Gericht im Strengbeweisverfahren Beweis zu erheben. Dabei wird möglichst früh ein Sachverständiger hinzuzuziehen sein, dem die eingeholten schriftlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden und der bei der Befragung potenzieller Zeugen helfen kann, sachdienliche Fragen zu stellen. Hiernach wird er ein schriftliches Gutachten zur – durchaus möglichen – retroperspektiven Feststellung der Testier(un)fähigkeit erstellen, das das Gericht auf seine logische Schlüssigkeit hin sowie darauf überprüft, ob der Sachverständige vom für erwiesen angesehenen Sachverhalt sowie vom richtigen Begriff der Testierfreiheit ausgegangen ist. Bezweifelt ein Beteiligter die Richtigkeit des Ergebnisses des Gutachtens, so ist es einem von ihm beauftragten Privatgutachter samt den sonstigen schriftlichen Unterlagen zur Überprüfung zur Verfügung zu stellen und der Sachverständige im Rahmen einer mündlichen Verhandlung mit den vorgetragenen Zweifeln zu konfrontieren. Kann auch unter Zugrundelegung der Grundsätze des Anscheinsbeweises – die einen Rückgriff auf ein luzides Intervall in der Regel ausschließen – eine Aussage zur Testier(un)fähigkeit nicht zweifelsfrei getroffen werden, so greift auch im Erbscheinsverfahren die Feststellungslast und der Erblasser ist im Zweifel als testierfähig anzusehen. Daher muss der Rechtsanwalt sorgfältig prüfen, ob Einwände gegen die Testierfähigkeit erhoben werden sollen, da dies dazu führen kann, dass der Mandant einen Teil der im Erbscheinsverfahren anfallenden Kosten zu tragen hat.

Autor: Von Rechtsanwältin Dr. Stephanie Herzog, Partnerin der Rechtsanwaltskanzlei Peter & Partner in Würselen[1]

ZErb 2/2016, S. 36 - 046

[1] Der Beitrag basiert auf einem Vortrag auf dem DVEV Erbrechtssymposium 2014 in Heidelberg.

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