Leitsatz
§ 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB findet keine Anwendung, wenn die Eltern nach eigener Erbausschlagung die Erbschaft nachfolgend für drei ihrer vier Kinder ausschlagen und für eines annehmen. In einem solchen Fall der selektiven Ausschlagung ist eine familiengerichtliche Genehmigung (§ 1822 Nr. 2 BGB) erforderlich.
KG Berlin, Beschluss vom 13. März 2012 – 1 W 747/11
Sachverhalt
Die am 14.10.2008 in Berlin-… verstorbene Erblasserin wurde von ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 3) sowie ihren sieben Kindern, u. a. dem Beteiligte zu 1), beerbt.
Mit notarieller Erklärung vom 20.2.2009 haben die Kinder die Erbschaft nach ihrer verstorbenen Mutter ausgeschlagen, weil der Nachlass überschuldet sei, nachdem zunächst von einem Nachlasswert von 100.000,– EUR ausgegangen worden war. Nachfolgend haben die Kinder auch für die jeweils vorhandenen Enkel die Erbschaft ausgeschlagen, wobei der Beteiligte zu 1) und seine Ehefrau die Erbschaft nur bezüglich ihrer Kinder … … und … ausgeschlagen haben, nicht jedoch für das weitere Kind, den am 13.4.2005 geborenen …, den Beteiligten zu 2).
Aufgrund der Erbscheinsverhandlung vom 4.11.2009 des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg zum Az 61 VI 764/08 erteilte das Gericht am 27.11.2009 auf Antrag des Beteiligten zu 2) einen Gemeinschaftlichen Erbschein, mit dem die Beteiligten zu 2) und 3) zu jeweils 1/2 als Erben ausgewiesen wurden.
Durch notariell beglaubigte Erklärung vom 20.9.2010 hat der Beteiligte zu 1) sowohl allein seine eigene Erbausschlagung als auch gemeinsam mit seiner Ehefrau die Ausschlagung für sämtliche Kinder angefochten, da sie irrtümlich von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen seien. Erst durch die Vermögensaufstellung der Erbengemeinschaft nach … per 30. Juni 2010 (… ), die ein Vermögen von 139.565,– EUR ergab, habe sich herausgestellt, dass die bisher angenommenen Verbindlichkeiten wesentlich geringer waren bzw. überhaupt nicht bestanden. Der Beteiligte zu 1) hat die Einziehung des Erbscheins vom 27.11.2009 u. a. auch deshalb beantragt, weil für die Erbausschlagung seiner weiteren Kinder neben dem Beteiligten zu 2) keine familiengerichtliche Genehmigung vorgelegen habe. Auch hierüber habe er sich geirrt.
Für den Beteiligten zu 2) ist durch Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, Familiengericht, 133 F 24176/10, das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin – Jugendamt – im vorliegenden Einziehungsverfahren zum Ergänzungspfleger bestellt worden.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – hat unter dem 25.7.2011 den Antrag des Beteiligten zu 1) auf Einziehung des Erbscheins zurückgewiesen, weil der vorgetragene Anfechtungsgrund nicht glaubhaft sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl 184 a/184 b der Akte Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die nicht weiter begründete Beschwerde des Beteiligten zu 1), der das Amtsgericht durch Beschluss vom 19.11.2011 nicht abgeholfen und die Akte dem Senat vorgelegt hat. (...)
Aus den Gründen
1. Das gemäß den §§ 38, 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG als Beschwerde zulässige Rechtsmittel des Beteiligten zu 1) ist nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.
Gegen die Ablehnung der Einziehung eines Erbscheins beschwerdeberechtigt ist jeder, der das einem anderen bescheinigte Erbrecht selbst in Anspruch nimmt. Dies ist beim Beteiligten zu 1) der Fall, der bei einem Erfolg seiner Anfechtung der Erbausschlagung für sich und seine Kinder selbst als Erbe in Betracht kommt.
Im Erbscheinsverfahren ist der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln; ob ein bereits erteilter Erbschein unrichtig und daher nach § 2361 BGB einzuziehen ist, muss ohne Rücksicht auf Vorbringen und Anträge der Beteiligten entschieden werden (BGH, NJW 2006, 3353, 3354). Ergeben sich erst im Beschwerdeverfahren Zweifel an der Richtigkeit des Erbscheins, so hat das Beschwerdegericht die Zweifel zu klären. Es prüft alle Gesichtspunkte selbst, die geeignet sind, die Unrichtigkeit des Erbscheins zu begründen, §§ 68 Abs 3, 26 FamFG (Stephanie Herzog in Staudinger, BGB, Neubearb. 2010, Rn 52 zu § 2361 BGB mwN ).
Die volle Überprüfungsmöglichkeit des Beschwerdegerichts ist durch den erstinstanzlichen Verfahrensgegenstand und den beim Beschwerdegericht angefallenen Gegenstand beschränkt. Das ergibt sich aus dem Wesen des Rechtsmittelverfahrens, das notwendigerweise keine andere Angelegenheit betreffen darf als diejenige, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen ist (BGH, FGPrax 2011, 78).
Verfahrensgegenstand im ersten Rechtszug war hier die Einziehung des Erbscheins, wobei der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 20.9.2010 neben einer Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung wegen Irrtums über den Wert des Nachlasses geltend gemacht hat, dass er auch darüber geirrt habe, dass die Ausschlagung für seine drei weiteren Kinder wirksam sei und zum Anfall der Erbschaft an seinen Sohn … geführt habe. Diese sei jedoch mangels familiengerichtlicher Gen...