"… Der Betroffenen war die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit nicht nachzuweisen. Zwar hat die Verwaltungsbehörde zur Überführung der Betroffenen hinsichtlich der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ein Beweisvideo und daraus entwickelte Fotos der Akte beigefügt. Das Gericht ist jedoch an einer lnaugenscheinnahme gehindert, da ein Beweisverwertungsverbot dem entgegen steht."
In der von der Betroffenen angefertigten Videoaufzeichnung liegt ein vom Gesetz nicht gedeckter Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grds. selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grds. selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 (42 f.)). Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrzeuges sowie des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich. Auf den gefertigten Bildern sind das Kennzeichen des Fahrzeuges sowie der Fahrzeugführer deutlich zu erkennen.
Zwar ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 65, 1 (43 f.); 120, 378 (401 ff.); BVerfGK 10, 330 (337).
Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff.); 100, 313 (359 f.); BVerfGK 10, 330 (337 f.)).
Eine solche gesetzliche Grundlage ist jedoch weder als Bundesgesetz noch auf der Ebene der Thüringer Landesgesetzgebung vorhanden.
Dass Ministerialerlasse diese Anforderung nicht erfüllen, wurde zuletzt nochmals durch das BVerfG (Beschl. v. 11.8.2009, 2 BvR 941/08 [= zfs 2009, 589]) dargelegt.
Darüber hinaus ist eine Rechtsgrundlage auch nicht in § 100h Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG zu erkennen, da ein konkreter Anfangsverdacht bei der sich häufig ergebenden Daueraufzeichnung gerade nicht angenommen werden kann.
Die Feststellungen zur Funktionsweise der verfahrensgegenständlichen Messstelle basieren auf den glaubhaften und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in einem am 29.10.2009 durchgeführten Musterverfahren, dessen gutachterliches Ergebnis sich das Gericht im vollen Umfang zu eigen gemacht hat.
Im Ergebnis des Gutachtens ist festzuhalten, dass die vom Hersteller beabsichtigte und wohl ursprünglich erwünschte Funktionsweise des Systems VKS 3.01 in der verfahrensgegenständlichen Praxis daran scheitert, dass die Laufzeiten der Filmsequenzen so lange währen, dass sich bei nur etwas lebhafteren Verkehrsverhältnissen die Tatkamera und die parallel laufenden Identkameras nicht mehr ausschalten, sondern durchlaufen. So kann bei minutenlang währenden Non-Stop-Aufzeichnungen gerade nicht mehr ermittelt werden, welches Fahrzeug von der Selektionskamera im Vorfeld ausgespäht worden war, um dann einer Ordnungswidrigkeit überführt werden zu können. Vielmehr ist es so, dass die Aufzeichnung zwar durch ständig eingehende Signale der Selektionskamera ausgelöst wird, jedoch im Nachgang bei der Auswertung ist es völlig gleichgültig, welches Fahrzeug für die In-Betrieb-Setzung der Tatkamera ursächlich war, da dann vom Auswertungsbeamten das Gesamtgeschehen bewertet wird. Das heißt, jeder nachweisbare Verstoß (ob von der Selektionskamera bemerkt oder nicht) kann zur Anzeige gebracht werden. Dies wird besonders dadurch bestätigt, dass auch häufig das Nicht-Anlegen des Sicherheitsgurts oder die Nutzung eines Mobiltelefons (i.V.m. Abstands- oder Geschwindigkeitsverstoß) zur Anzeige kommt, was von der Selektionskamera überhaupt nicht erkannt werden kann.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht für die Fälle, die möglicherweise singulär, also ausgelöst durch einen konkreten, von der Selektionskamera begründeten Anfangsverdacht aufgezeichnet wurden. Da die der Bußgeldakte beigefügten DVDs immer nur zusammengeschnittene Kurzsequenzen enthalten, ist nicht eindeutig beurteilbar, ob die ursprüngliche Aufzeichnung nicht einer Dauersequenz entnommen ist. Damit muss sich der Makel der immer wieder zu beobachtenden Daueraufzeichnungen – dubio pro reo – auch auf die Fälle erstrecken, die möglicherweise in der eigentlich erwünschten Form zustande gekommen sein mögen. Dies muss so lange gelten, wie die bestehende Funktionsweise der VKS Messanlage nicht grundlegend, den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechend, angepasst, oder eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen wurde.
Da der in der Videoaufzeichnung bestehende Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch keine gesetzliche Befugnis...