"… Die Kl. hat gegen die Bekl. gem. § 7, 17 StVG, § 115 VVG kein Anspruch auf Ersatz ihres Schadens in Höhe von insgesamt 2.391,95 EUR."
Der Verkehrsunfall beruht bezüglich beider Fahrzeuge weder auf höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG noch lag ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG vor.
In welchem Umfang die Bekl. der Kl. zum Schadensersatz verpflichtet sind, hängt somit von den Umständen ab, insb. davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von der einen oder der anderen Partei verursacht worden ist § 17 Abs. 1StVG. Dabei ist jede Partei für Umstände, die die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der anderen Partei erhöhen können, beweispflichtig.
II. Insofern gilt Folgendes:
1. Es spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Fahrer des Fahrzeugs der Kl. Dieser Beweis des ersten Anscheins setzt einen typischen Geschehnisablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Ein solch typischer Geschehnisablauf ist im Straßenverkehr, das Auffahren auf ein anderes Fahrzeug. Hier spricht die Lebenserfahrung dafür, dass der Kraftfahrer der auf ein vor ihm fahrendes oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist (BGHZ 192, 84). Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass hinter diesem angehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird.
Dieser Beweis des ersten Anscheins kann jedoch erschüttert bzw. ausgeräumt werden, wenn der Auffahrende einen anderen ernsthaften, typischen Geschehnisablauf darlegt und beweist. Dabei genügt die bloße Darlegung anderer oder theoretischer Möglichkeiten zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht. Eine solche Entkräftung des Anscheinsbeweises hätte zur Folge, dass der Bekl. die von ihm bekundete Unfalldarstellung wieder in vollem Umfang beweisen muss.
Die Bekl. haben den gegen sie sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht entkräftet.
Bereits nach eigenem Sachvortrag der Kl. ist der Anscheinsbeweis nicht entkräftet. Der Anscheinsbeweis wäre nicht dadurch erschüttert, dass der Bekl. zu 2) für eine Taube stark gebremst hat.
Das Bremsen für eine Taube war nicht ohne zwingenden Grund und stellt in dieser konkreten Situation keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 1, S. 2 StVOdar. Der Zweck des § 4 Abs. 1, S. 2 StVO ist das Verhindern von Auffahrunfällen. Der Grund des Bremsens ist vorliegend dem Zweck des Bremsverbots mindestens gleichwertig.
Eine Abwägung der gefährdeten Rechtsgütern ergibt, dass in dem hier zu entscheidenden Fall der Bekl. zu 2) bremsen durfte. Die damit einhergehende Gefahr von Sachschäden an dem eigenen wie an dem fremden Kfz hat keinen Vorrang vor dem Tierwohl. Vielmehr ist hier zu beachten, dass der Unfall bei sehr geringer Geschwindigkeiten im Anfahrvorgang geschah. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit waren auch keine Personenschäden zu erwarten. Es mag sein, dass der Fahrer des Fahrzeugs der Kl. beim Anfahren an einer Kreuzung eine große Anzahl an möglichen Gefahren beachten muss. Gerade deshalb hat er jedoch den nötigen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug herzustellen und einzuhalten sowie stets bremsbereit zu sein. Besonders im Stadtgebiet muss man stets damit rechnen, dass sich Gegenstände, die für den Hinterherfahrenden nicht oder nicht gut sichtbar sind, auf der Fahrbahn befinden.
Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass der Bekl. zu 2) das Tier hätte überfahren müssen. Das Töten eines Wirbeltiers stellt nach §§ 4Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG grds. eine Ordnungswidrigkeit dar und ist dem Bekl. zu 2) nicht zuzumuten. Diese Vorschrift ist auch Folge des im Jahr 2002 in Art. 20a GG aufgenommen Tierschutz als Staatszielbestimmung der Bundesrepublik Deutschlands.
Das von der Kl. angeführte Urteil des OLG Hamm vom 13.7.1993 behandelt einen anders gelagerten Sachverhalt. Dort erfolgte das Abbremsen des Vorausfahrenden im fließenden Verkehr und dementsprechend war die Geschwindigkeit der daran beteiligten Fahrzeuge höher. Das Abbremsen war für die Verkehrsteilnehmer von größerer Gefahr und stellte ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO dar. Vorliegend geschah der Unfall beim Anfahren an einer Ampel nach einer Rotlichtphase. Die mit dem Bremsvorgang verbundenen Geschwindigkeiten und Gefahren für die Verkehrsteilnehmer und deren Rechtsgütern sind geringer. Zudem war der Tierschutz im Jahr 1993 noch nicht als Staatszielbestimmung im Grundgesetz normiert.
2. Nichts anderes gilt, wenn man den Sachverhalt der Bekl. zugrunde legt. Danach hat der Bekl. zu 2) verkehrsbedingt gebremst. Auch insofern wäre es Sache der Kl. gewesen darzulegen und zu beweisen, dass der Bekl. zu 2) ohne zwingenden Grund stark gebremst hat. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass hinter diesem angehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. Insofern hat die Kl. an ihrem Sachverhalt mit der Taube festgehalten.
III....