Einführung
Der Beitrag befasst sich primär mit der Frage, ob und in welchem Umfang "schlechte" genetische Erkenntnisse anzeigepflichtig sind. Betrachtet werden auch "Altfälle" vor Inkrafttreten des GenDG. Anlass dazu bietet auch eine aktuelle Entscheidung des OLG Saarbrücken, die die bisher spärliche Rechtsprechung in diesem Bereich praxisnah ergänzt, allerdings erneut die Frage offenlässt, ob und inwieweit ein Versicherungsnehmer bei Antragsstellung auch ohne konkrete Beschwerden die genetisch festgestellte Disposition zu einer Erkrankung offenbaren muss. Unter prädiktiven Gentests sind dabei mit der ganz h.M. voraussagende Tests zu verstehen, mit denen genetische Abweichungen erkannt werden sollen, die später zum Ausbruch einer Krankheit führen können, also nicht etwa diagnostische Tests bei bereits ausgebrochener Erkrankung.
A. Problemaufriss
Die prädiktive Genomanalyse, also die vorausschauende Bewertung bereits genetisch angelegter künftiger Erkrankungen durch Gen- oder Bluttests, stellt in der Medizin einen der klassischen Reibepunkte zwischen dem technisch Möglichen und dem ethisch Gewollten dar. Dem Thema wohnt eine echte Janusköpfigkeit inne: einerseits wird gehofft, den Schlüssel zur Heilung von Krankheiten in den Händen zu halten, während andererseits die Furcht vor dem gläsernen Menschen besteht. Die rechtliche Demarkationslinie zwischen diesen Lagern ist das am 1.2.2010 in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz, das einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen schaffen will und bei dem insbesondere auch versicherungswirtschaftliche und versicherungsrechtliche Aspekte berücksichtigt wurden. Durch das GenDG wird die in der deutschen Sprache als Synonym für Zwiespältigkeit verwendete "Janusköpfigkeit" der Gendiagnostik dem tatsächlichen Charakter des römischen Gottes Janus angepasst, der in zwei und nicht nur in eine Richtung blickt und zugleich eröffnet und verschließt: denn Ziel des GenDG ist es, die mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen möglichen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren. Mit dem Gesetz sollen Anforderungen an eine gute genetische Untersuchungspraxis verbindlich gemacht werden.
Der Bereich der Risikoprüfung bei Personenversicherungen (speziell Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, aber bspw. auch Unfallversicherungen) ist naturgemäß in ganz besonderem Maß am Erhalt möglichst umfassender Gesundheitsdaten interessiert. Der Berufsverband deutscher Humangenetiker e.V. (BVDH) führt eine Liste genetisch bedingter Erkrankungen, die im deutschsprachigen Raum in entsprechend spezialisierten Einrichtungen gegenwärtig durch eine DNA-Analyse untersucht werden können. Diese Liste umfasste zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung 1.199 eingetragene Krankheiten. Die Versicherungswirtschaft hatte sich bereits früh mit dem Konflikt beschäftigt. Am 25.10.2001 wurde eine zunächst für fünf Jahre gültige und dann bis zum 31.12.2011 verlängerte freiwillige Selbstverpflichtungserklärung der Mitgliedsunternehmen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. abgegeben, in der diese auf die Durchführung prädiktiver genetischer Tests als Voraussetzung eines Vertragsabschlusses verzichteten.
B. Selbstverpflichtungserklärung der Versicherer
Die Selbstverpflichtungserklärung aus dem Jahr 2001 lautete wie folgt:
"Die Versicherungsunternehmen erklären sich bereit, die Durchführung von prädiktiven Gentests nicht zur Voraussetzung eines Vertragsabschlusses zu machen. Sie erklären weiter, für private Krankenversicherungen und für alle Arten von Lebensversicherungen einschließlich Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits-, Unfall- und Pflegerentenversicherungen bis zu einer Versicherungssumme von weniger als 250.000,00 EUR bzw. einer Jahresrente von weniger als 30.000,00 EUR auch nicht von ihren Kunden zu verlangen, aus anderen Gründen freiwillig durchgeführte prädiktive Gentests dem Versicherungsunternehmen vor dem Vertragsabschluss vorzulegen. In diesen Grenzen verzichten die Versicherer auf die im Versicherungsvertragsgesetz verankerte vorvertragliche Anzeigepflicht gefahrerheblicher Umstände. Die Versicherungsunternehmen werden in diesen Fällen von den Kunden dennoch vorgelegte Befunde nicht verwerten."
Zusammengefasst bedeutet dies: generell wollten die Versicherer keine Durchführung eines Gentest fordern und bis zu den genannten Beträgen auch keine Vorlage eines bereits vorhandenen Tests verlangen. Die Sätze 2 und 3 verführen zu dem Gedanken, die Versicherer hätten auf die Nutzung aller Informationen im Zusammenhang mit genetischen Defekten verzichten wollen. Dies hätte man klarer formulieren können. Durch die Formulierung "in diesen Grenzen" wird aber deutlich, dass es nur um die Verwertung eines Tests und seiner Ergebnisse geht, also bspw. nic...