A. Einführung
Dem Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Straf- oder Bußgeldverfahrens immanent ist der Konflikt zwischen den Grundsätzen der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, die sich beide aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten. Das Wiederaufnahmeverfahren in Verkehrsbußgeldsachen gehört zu den außerordentlichen Rechtsbehelfen. Es ist in § 85 OWiG geregelt und führt zu einer Nachprüfung des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens. Praktische Bedeutung hatte die Wiederaufnahme zuletzt wegen der massenhaften widerrechtlichen Geschwindigkeitsmessungen auf der A3 in Köln am Autobahndreieck Heumar. Betroffene, die gegen fehlerhafte Bußgeldbescheide keinen Einspruch eingelegt haben, waren auf diese eher exotische Verfahrensart angewiesen, die zur Durchbrechung der Rechtskraft führt, und konnten nur so die Eintragung von Punkten im Fahreignungsregister (FAER) rückgängig machen. Im Folgenden soll ein Überblick über das Wiederaufnahmeverfahren gegeben werden, wobei ein Schwerpunkt auf das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Betroffenen gesetzt wird. Dabei sollen auch die verkehrsverwaltungsrechtlichen Bezüge dargestellt und Tipps zur Steigerung der Erfolgsaussichten erteilt werden.
B. Handlungsbedarf
Ein Antrag auf Wiederaufnahme eignet sich für rechtskräftig – notfalls erst nach Durchlaufen der Rechtsbeschwerdeinstanz – abgeschlossene Bußgeldverfahren; hier bleibt mangels weiterer Instanz dann "nur" noch der Weg über ein Wiederaufnahmeverfahren. Ergreift etwa die Fahrerlaubnisstelle aufgrund des Punktestandes des Betroffenen Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG, so kann ihr gegenüber nicht eingewendet werden, er wäre nicht Fahrer des Pkw gewesen. Die Fahrerlaubnisbehörde ist gem. § 4 Abs. 2 S. 3, Abs. 5 S. 4 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Ein Bußgeldbescheid, der einen Verkehrsteilnehmer zu Unrecht mit einer Geldbuße belegt, weil die Ordnungswidrigkeit von einer anderen Person begangen worden ist, ist nicht nichtig. Nur im Ordnungswidrigkeitenrecht kann das Verfahren mit dem Ziel des Freispruchs wiederaufgenommen werden. Nur durch einen erfolgreichen Antrag auf Wiederaufnahme kommt der Betroffene unter die Acht-Punkte-Grenze. Weitere praxisrelevante Anlässe sind Anordnungen von Aufbauseminaren für Fahranfänger gem. § 2a StVG oder Aufforderungen der Bußgeldstelle, unter Festsetzung einer Frist, das Fahrverbot anzutreten.
Beruht ein Punkt in Flensburg auf dem bundesweit bekannt gewordenen unrechtmäßigen Blitzer in Köln auf der A3 am AS Königsforst/AK Köln-Ost, Fahrtrichtung Oberhausen, so hatte die Stadt Köln zwar einst eine Internetseite eingerichtet und gewährte auf einen Antrag des Verkehrsteilnehmers hin Rückzahlungen der Verwarnungs- und Bußgelder. Die Löschung eines Punkteeintrages oder die Aufhebung eines Fahrverbotes sind aber nicht vom rein finanziellen Ausgleichsprogramm der Stadt Köln umfasst. Der Betroffene ist dann auf einen Wiederaufnahmeantrag angewiesen.
C. Gesetzliche Grundlagen
Für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftige Bußgeldentscheidung abgeschlossenen Verfahrens wird auf die Vorschriften der §§ 359–373a StPO, soweit sich aus § 85 OWiG nichts anderes ergibt, verwiesen. Die Wiederaufnahmegründe zugunsten des Verurteilten sind in § 359 StPO i.V.m. § 85 Abs. 1 OWiG aufgelistet. So ist die Wiederaufnahme etwa zulässig, wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war (Nr. 1), wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat (Nr. 2) und wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlasst ist (Nr. 3). Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist auch nach § 359 Nr. 4 StPO zulässig, wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist. Entsprechend ist diese Ziffer auf eine spätere verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der die Strafbarkeit begründet hat, anzuwenden.
Die höchste praktische Bedeutung hat Nr. 5: Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Betroffenen ist zulässig, wenn neue Tatsachen oder Be...