VV RVG Nr. 4130; StPO § 464 Abs. 2 § 464 A Abs. 2
Leitsatz
Zur Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren (VV Nr. 4130 RVG), wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revision gegen ein Urteil vor deren Begründung zurücknimmt.
KG, Beschl. v. 27.4.2010 – 1 Ws 61/10
Sachverhalt
Nach Ablehnung eines Antrags auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch das LG Berlin sowie Rücknahme der hiergegen durch die Staatsanwaltschaft (StA) eingelegten Revision hat der Beschwerdeführer beantragt, die der Landeskasse auferlegten und an ihn abgetretenen notwendigen Auslagen des Angeklagten in Höhe von 612,85 EUR festzusetzen. Durch Beschl. v. 16.3.2010 hat die Rechtspflegerin des LG Berlin die Vergütung auf 0,– EUR festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
Die Rechtspflegerin hat mit Recht und zutreffender Begründung festgestellt, dass die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4130 VV RVG nebst Umsatzsteuer hier nicht erstattungsfähig ist.
Der Beschwerdeführer kann nach den §§ 464 Abs. 2, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO nur den Ersatz seiner notwendigen Auslagen verlangen. Das bedeutet in Bezug auf die Verteidigergebühren, dass nur solche anwaltlichen Tätigkeiten aus der Landeskasse vergütet werden, die zur Rechtsverfolgung prozessual erforderlich waren. Derartiger Aktivitäten des Verteidigers bedurfte es hier im Revisionsverfahren aber nicht, da die StA ihr Rechtsmittel nicht begründet, sondern noch vor Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO am 1.2.2010 zurückgenommen hatte. Nach der ständigen Entscheidungspraxis des KG (vgl. Senat, Beschl. v. 25.7.2008 – 1 Ws 262/08 – m.w.N.) bestand bis zu diesem Zeitpunkt für anwaltliches Handeln keine Notwendigkeit. Alle Erörterungen der Sache mit dem Mandanten und sonstige Tätigkeiten waren in diesem Verfahrensstadium überflüssig und für die Wahrung der Interessen des Angeklagten ohne jeden objektiven Wert.
Denn Umfang und Zielrichtung der gegnerischen Revision sind regelmäßig erst aus deren Begründung zu ersehen. Erst dadurch wird der Verteidiger in die Lage versetzt, den Mandanten sachgerecht zu beraten sowie das weitere Verfahren durch eigene Anträge und Gegenerklärungen zu beeinflussen. Ein verständiger und erfahrener Rechtsanwalt, der mit der Rechtslage vertraut ist, wird daher vor dem Eingang der Revisionsrechtfertigung auf voreilige Überlegungen, spekulative Beratungen, Mutmaßungen über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sowie auf nutzlose Anträge verzichten und das dem Angeklagten auch ohne nennenswerten Zeitaufwand begreiflich machen können. Die Befriedigung des Wunsches des Mandanten, über die potenziellen Erfolgsaussichten der "möglicherweise mit der Sachrüge begründeten" Revision der Staatsanwaltschaft informiert zu werden, gehört in diesem Verfahrensstadium trotz der erheblichen Bedeutung des Verfahrensausgangs für den Mandanten nicht zu den obligatorischen Aufgaben des Verteidigers und kann deshalb auch nicht im Wege des Ersatzes notwendiger Auslagen mit einer gesonderten Gebühr honoriert werden.
Eingesandt von den Mitgliedern des 1. Strafsenats des KG
3 Anmerkung
Die Beschlussgründe unterscheiden nicht sauber zwischen Anfall und Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr, was dazu führt, dass das KG zu Unrecht die Notwendigkeit der Tätigkeit des Verteidigers verneint.
Anfall der Verfahrensgebühr
Nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Dies gilt für sämtliche in Teil 4 VV RVG aufgeführten Verfahrensgebühren, mithin auch für die hier in Rede stehende Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG für das Revisionsverfahren. Diese Gebühr entsteht somit, wenn der Verteidiger nach Erhalt des Auftrags für das Revisionsverfahren zumindest eine in den Abgeltungsbereich dieser Gebühr fallende Tätigkeit entfaltet. Hierzu gehören eher passive Tätigkeiten wie die Entgegennahme der Information oder auch aktive Anwaltstätigkeiten wie die Beratung des Mandanten über die infolge der Einlegung der Revision seitens der StA eingetretene verfahrensrechtliche Situation und die Erfolgsaussichten dieser Revision (OLG Jena JurBüro 2006, 365; OLG Schleswig SchlHA 2006, 299; Burhoff, RVG in Straf- und Bußgeldverfahren, 2. Aufl. Vorbem. 4. 1 Rn 26 ff.). Derartige Tätigkeiten hatte der Verteidiger hier entfaltet. Ob diese überflüssig waren oder "objektiven Wert" hatten, ist für den Anfall der Verfahrensgebühr unerheblich.
Notwendigkeit der Verfahrensgebühr
Für die Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr kommt es darauf an, ob die Einschaltung des Verteidigers notwendig war, §§ 473 Abs. 2, 464a Abs. 2a) StPO, § 91 Abs. 2 ZPO. Dies wird in der obergerichtlichen Rspr. für die hier vorliegende Fallgestaltung oder für die Rücknahme der von der StA eingelegten Berufung vor deren Begründung häufig verneint, so KG RVGreport 2006, 352 = AGS 2006, 375; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 229; OLG Zweibrücken JurBüro 1978, 256. Dies wird meist damit begründet, dass eine sinnvolle Tätigkeit des Verteidigers vor Ken...