Ähnlich entschied das AG Wiesbaden mit Urt. v. 9.9.2020[26] : Für den Rücktritt eines Reiseveranstalters vom Reisevertrag ist es demnach nicht erforderlich, dass für das Zielgebiet eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorliegt. Es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Ausbreitung der Krankheit COVID-19. Diese Wahrscheinlichkeit war bereits im Februar 2020 für eine Asien-Kreuzfahrt (geplant für April 2020) zu bejahen. Eine solche Absage der Reise rechtfertigt daher keinen Schadensersatzanspruch des Reisenden nach § 651n Abs. 2 BGB.

Bemerkenswert sind allerdings die weiteren Ausführungen des AG Wiesbaden, wonach es auf die Prognoseentscheidung aus Februar 2020 letztlich gar nicht ankommen soll. Das AG Wiesbaden begründet dies damit, dass Mitte März 2020 die Bundesregierung – wie viele andere Europäische Regierungen auch – zur Eindämmung der Pandemie erhebliche Einschränkungen des gesamten öffentlichen Lebens anordnete. Verbunden war dies mit einer weltweiten Reisewarnung, die auch im April 2020 immer noch Gültigkeit hatte. Somit hätte die streitgegenständliche Asien-Kreuzfahrt in jedem Falle ausfallen müssen. Selbst wenn die Prognoseentscheidung des beklagten Reiseveranstalters im Februar 2020 falsch gewesen sein sollte, so wäre der klagenden Reisenden dadurch kein Schaden entstanden, da diese unterstellte falsche Prognoseentscheidung für den Ausfall des Schadens überhaupt nicht kausal geworden wäre (sog. überholende Kausalität).

Wenn man dieser Position des AG Wiesbaden folgen sollte, dann wäre konsequenterweise zu erwägen, die entsprechenden Grundsätze im umgekehrten Fall auch auf den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters nach Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn (§ 651h BGB) anzuwenden.[27] Dort soll nach derzeit absolut vorherrschender Meinung aber ausschließlich auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden abgestellt werden (reine ex-ante-Betrachtung, s.o.).

[26] AG Wiesbaden, Urt. v. 9.9.2020 – 92 C 1682/20, BeckRS 2020, 27073.
[27] So im Ergebnis Harke, RRa 2020, 207.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?