"[5] 1. In der obergerichtlichen Rspr. wird zum Teil bei Auffahrunfällen auf der Autobahn bereits ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden verneint und – i.d.R. – eine hälftige Schadensteilung angenommen, wenn vor dem Auffahren ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt worden ist und sich dies unfallursächlich ausgewirkt hat (vgl. etwa OLG München, Urt. v. 4.9.2009 – 10 U 3291/09, juris, Rn 21; KG, Beschl. v. 14.5.2007 – 12 U 195/06, NZV 2008, 198 und Urt. v. 21.11.2005 – 12 U 214/04, NZV 2006, 374; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.3.2004 – 1 U 97/03, juris, 2. Orientierungssatz, Rn 10, 19; OLG Hamm, Urt. v. 8.12.1997 – 6 U 103/97, r+s 1998, 459 = MDR 1998, 712 und OLG Celle, Urt. v. 26.11.1981 – 5 U 79/81, VersR 1982, 960). Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Fahrzeug nur dann das typische Gepräge eines Auffahrunfalls trage, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf zu schnelles Fahren, mangelnde Aufmerksamkeit und/oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand des Hintermannes zulasse, wenn feststehe, dass sich das vorausfahrende Fahrzeug schon “eine gewisse Zeit’ vor dem nachfolgenden PKW befunden und diesem die Möglichkeit gegeben habe, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen (vgl. etwa OLG München, Urt. v. 21.4.1989 – 10 U 3383/88, NZV 1989, 438).

[6] 2. Ein anderer Teil der obergerichtlichen Rspr. vertritt die Auffassung, dass nur die seitens des Auffahrenden bewiesene ernsthafte Möglichkeit, dass das vorausfahrende Fahrzeug in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Auffahrunfall in die Fahrbahn des Auffahrenden gewechselt sei, den Anscheinsbeweis erschüttern könne (vgl. etwa OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.5.2009 – 4 U 347/08, NZV 2009, 556 und v. 19.6.2005 – 9 U 290/04, MDR 2006, 329; OLG Zweibrücken, Urt. v. 30.6.2008 – 1 U 19/08, SP 2009, 175 und OLG Köln, Urt. v. 29.6.2004 – 9 U 176/03, r+s 2005, 127; ebenso wohl auch OLG Naumburg, Urt. v. 6.6.2008 – 10 U 72/07, NZV 2008, 618; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.6.2008 – 1 U 5/08, SP 2009, 66; OLG Frankfurt, Urt. v. 2.3.2006 – 3 U 220/05, VersR 2006, 668 und OLG Koblenz, Urt. v. 3.8.1992 – 12 U 798/91, NZV 1993, 28). Zeige das Unfallgeschehen das typische Gepräge eines Auffahrunfalls, so könne sich der Unfallgegner nicht mit der bloßen Behauptung der lediglich theoretischen Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs entlasten, mit der Folge, dass es nunmehr Sache des Vorausfahrenden sei, den theoretisch in Betracht kommenden Unfallverlauf i.S. einer beweisrechtlichen “Vorleistung’ auszuschließen (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.6.2005 – 4 U 209/04, 31/05, juris, Rn 2; KG, Beschl. v. 9.10.2008 – 12 U 168/08, NZV 2009, 458). Vielmehr müssen sich nach dieser Ansicht aus den unstreitigen oder bewiesenen Umständen zumindest konkrete Anhaltspunkte und Indizien für den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem behaupteten Fahrspurwechsel und dem Auffahrunfall ergeben, um den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern (vgl. OLG Köln, Urt. v. 29.6.2004 – 9 U 176/03, a.a.O.). Auch nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung greift der Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen nur dann nicht zu Lasten des Auffahrenden ein, wenn auf Grund erwiesener Tatsachen feststeht oder unstreitig ist, dass der Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden erst wenige Augenblicke vor dem Auffahrunfall erfolgt ist (vgl. Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StraßenverkehrsR, 21. Aufl., § 4 StVO Rn 24; Buschbell, in: Münchener Anwaltshandbuch StraßenverkehrsR, 3. Aufl., § 23 Rn 284; König, in: Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR, 40. Aufl., § 4 StVO Rn 18 und Zieres, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 27, Rn 149).

[7] 3. Der erkennende Senat hat in seinem Urt. v. 18.10.1988 – VI ZR 223/87, VersR 1989, 54 an seiner bis dahin ergangenen Rspr. festgehalten, dass bei Unfällen durch Auffahren, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, grds. der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden sprechen kann (vgl. etwa Senatsurt. v. vom 6.4.1982 – VI ZR 152/80, VersR 1982, 672 und v. 23.6.1987 – VI ZR 188/86, VersR 1987, 1241). Dies setzt allerdings nach allgemeinen Grundsätzen voraus, dass ein typischer Geschehensablauf feststeht (vgl. etwa Senatsurt. v. 19.1.2010 – VI ZR 33/09, VersR 2010, 392 m.w.N.). Hieran fehlt es im Streitfall.

[8] Nach den Feststellungen des BG hat der Widerbekl. zu 1 nach eigenen Angaben mit dem VW-Bus den vor ihm fahrenden, vom Bekl. zu 1 geführten Opel Astra ca. 300 m vor der Ausfahrt, an der beide Unfallbeteiligten die Autobahn verlassen haben, überholt und ist danach vor diesem auf dessen Fahrspur gewechselt. Nach § 7 Abs. 5 StVO darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies setzt u.a. voraus, dass der überholte Kraftfahrer nach dem Wiedereinscheren des ihn überholenden...

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