Die zum Luftbeförderungsrecht verkündeten Entscheidungen betrafen auch im Jahr 2011 überwiegend die Ansprüche der Reisenden nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung. Diese Verordnung ist deshalb für die Praxis von so großer Bedeutung, weil nach der Verordnung den betroffenen Fluggästen bei Nichtbeförderung, Annullierung und auch bei großer Verspätung grundsätzlich bestimmte Ansprüche zustehen. Die Erstattung der Flugscheinkosten bzw. die anderweitige Beförderung sowie das Anbieten von Betreuungsleistungen (Mahlzeiten, Erfrischungen, ggf. Hotelunterbringung) zählen zu den in der Verordnung vorgesehenen standardisierten und sofortigen Maßnahmen, welche die Fluggesellschaft zu erbringen hat. Bei kurzfristiger Annullierung (und nach der Rechtsprechung auch in bestimmten Verspätungsfällen ) haben die Fluggäste meist auch Anspruch auf eine entfernungsabhängige pauschale Ausgleichszahlung – unabhängig von der Höhe des Flugpreises und auch unabhängig von einem konkreten Schadenseintritt.
1. Gerichtliche Zuständigkeit
Am 18.1.2011 entschied der BGH über die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit für Klagen auf Ausgleichszahlungen nach der Verordnung. Die Kläger hatten bei einem in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Luftfahrtunternehmen Flüge von Frankfurt am Main in die USA gebucht. Die Flüge wurden annulliert und die Kläger konnten erst am nächsten Tag in die USA fliegen. Das Amtsgericht hatte die Klage noch abgewiesen, weil es sich für international nicht zuständig gehalten hatte. Das Berufungsgericht hatte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bejaht und die Fluggesellschaft zur Ausgleichszahlung nebst Zinsen verurteilt. Der BGH bestätigte jetzt im Ergebnis, dass der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Sinne des § 29 Abs. 1 ZPO an dem Ort gegeben ist, von wo aus der vertragsmäßige Abflug in Deutschland erfolgen sollte. In den Leitsätzen führt der BGH dazu ganz allgemein aus, dass bei Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach der Verordnung gegen das Luftverkehrsunternehmen, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, unabhängig vom Vertragsstatut der Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsmäßigen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs ist.
Die Begründung des BGH-Urteils wurde in der Literatur zwar kritisch hinterfragt, jedoch wurde das erzielte Zuständigkeitsergebnis auch aus Gründen des Verbraucherschutzes überwiegend positiv gewertet.
Hinsichtlich der Zuständigkeit knüpft die Mehrzahl der Amtsgerichte inzwischen auch dann an den Erfüllungsort an, wenn das Luftfahrtunternehmen (anders als im Fall der genannten BGH-Entscheidung) seinen Sitz in Deutschland bzw. in der Europäischen Union hat. Eine solche Anknüpfung trägt auch der mit Erwägungsgrund 4 der Verordnung bezweckten Harmonisierung Rechnung, sichert zugleich dem Kunden das in Erwägungsgrund 1 der Verordnung angestrebte hohe Schutzniveau auch bei der gerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche zu und schafft Rechtssicherheit.
Unschädlich ist es auch, wenn der Fluggast nicht selbst Vertragspartner des Luftfahrtunternehmens geworden ist, sondern ein unmittelbares Vertragsverhältnis nur mit dem Reiseveranstalter bestand, welcher seinerseits einen Beförderungsvertrag mit dem Fluggast abgeschlossen hat. § 29 ZPO gilt bei Verträgen zugunsten Dritter auch für Klagen des Dritten; der Beförderungsvertrag stellt einen solchen Vertrag zugunsten des Reisenden als Dritten dar.
Für die Praxis bedeutet dies heute jedenfalls, dass Ansprüche nach der Verordnung regelmäßig an dem für den Startflughafen in Deutschland bzw. für den Zielflughafen in Deutschland zuständigen Gericht eingeklagt werden können – was für die meisten Reisenden wohl vorteilhaft sein dürfte.