"… [30] II. 1. Der Kl. kann auf der Grundlage der §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, § 115 Abs. 1 VVG Ersatz von 50 % des ihm entstandenen Schadens verlangen, weil beide Unfallbeteiligten ein etwa gleich hoch zu bewertendes Mitverschulden an der Kollision trifft."
[31] Der Bekl. zu 2) ist anzulasten, dass sie unter Missachtung eines angeordneten Überholverbots (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO) bzw. bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO) versucht hat, das klägerische Fahrzeug zu überholen.
[32] Der Zeuge H ist den sich aus § 9 Abs. 5 StVO ergebenden besonderen Sorgfaltspflichten nicht im ausreichenden Maße nachgekommen.
Im Einzelnen ist auszuführen:
[33] a) Nach den Feststellungen des Sachverständigen verläuft die R-Straße im relevanten Bereich geradlinig, so dass sich keine Sichtbehinderungen für die Unfallbeteiligten ergeben.
[34] Die Fahrbahn hat eine Breite von 6 m zwischen den hellen Randmarkierungen. Die Zuwegungen zu den Gebäuden Nr. 5 und Nr. 7 unterscheiden sich nicht wesentlich. Die Einfahrt zum Gebäude Nr. 5 ist jedoch deutlich großzügiger ausgestaltet als die zum Gebäude Nr. 7
[35] Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 70 km/h. Zudem besteht ein Überholverbot für Kfz aller Art (Zeichen Nr. 276).
[36] Unter Auswertung der Fahrzeugschäden hat der Sachverständige für das klägerische Fahrzeug eine Kollisionsgeschwindigkeit von rund 7 km/h und für das Fahrzeug der Bekl. zu 2) eine solche von rund 33–36 km/h ermittelt.
[37] Der Sachverständige kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen nicht geklärt werden könne, ob das Klägerfahrzeug vor der Einleitung des Abbiegemanövers an der Mittellinie oder am rechten Fahrbahnrand bewegt worden ist.
[38] Er zeigt weiter auf, dass sich hinsichtlich der Klägerversion "massive Plausibilitätswidersprüche" ergeben. So sei wegen der beschriebenen Ausgestaltung der Zuwegungen zu den Gebäuden Nr. 5 und Nr. 7 nicht nachvollziehbar, dass das Haus Nr. 7 "planvoll" angesteuert worden sei, um dort zu wenden.
[39] Es sei auch nicht plausibel, dass die Bekl. zu 2) überholt hätte, wenn der linke Fahrtrichtungsanzeiger "geraume Zeit aktiviert und die Fahrbahnmitte bereits in Höhe von Haus Nr. 5 eingenommen worden wäre. Der Zeuge H hätte bei der von ihm angegebenen "doppelten Rückschau vor dem eigentlichen Abbiegen" die Überhol-/Passierabsicht der Bekl. zu 2) erkennen können. Schließlich sei unter Zugrundelegung der Darstellung des Kl. von einer geringeren Annäherungsgeschwindigkeit der Bekl. zu 2) auszugehen (nämlich rund 50 km/h) als von dieser bei der Anhörung mit 60–65 km/h angegeben."
[40] b) Unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachvortrags und der eigenen Angaben der Unfallbeteiligten haben diese jeweils durch eine schuldhafte Verletzung der Vorschriften der StVO den Unfall mitverursacht.
[41] aa) Die Bekl. zu 2) hat unter Missachtung des Zeichens Nr. 276 und bei unklarer Verkehrslage überholt und damit gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 u. 1 StVO verstoßen.
[42] (1) Das Vorbeifahren im Rechtssinne ist in § 6 StVO geregelt.
[43] Für das Überholen als einem Sonderfall des Vorbeifahrens gilt die speziellere Vorschrift des § 5 StVO. Unter Überholen versteht man das Vorbeifahren eines Verkehrsteilnehmers an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält (Helle, in: jurisPK-StrVerkR, § 3 StVO Rn 6; Heß, in: Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, § 5 StVO Rn 2). Ein rechts haltendes, behinderndes Fahrzeug wird also dann nicht im Rechtssinne überholt, wenn es ohne Rücksicht auf die Verkehrslage anhält.
[44] (2) Unstreitig ist das klägerische Fahrzeug vor der Kollision zu keinem Zeitpunkt angehalten worden, sondern befand sich – wenn auch langsamer werdend – in Bewegung, als die Bekl. zu 2) versuchte, dieses zu überholen.
[45] Da es unerheblich ist, ob die Bekl. zu 2) möglicherweise irrtümlich angenommen hat, das klägerische Fahrzeug werde rechts anhalten, liegt ohne Zweifel ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO vor.
[46] (3) Soweit das klägerische Fahrzeug mit den beiden rechten Reifen auf den Grünstreifen gefahren sein sollte, wie die Bekl. zu 2) bei ihrer Anhörung angegeben hat, bestand zudem eine unklare Verkehrslage. Denn da der rechte Fahrtrichtungsanzeiger nicht aktiviert war, stand keinesfalls fest, dass das Fahrzeug tatsächlich am rechten Fahrbahnrand anhalten wollte.
[47] Vielmehr war die weitere Fahrweise ungewiss und damit die Verkehrslage unklar i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Denn es bestand die ernsthafte Möglichkeit, dass der Fahrer nur rechts ausgeholt hat, um eine bessere Ausgangsposition für ein etwa beabsichtigtes Wendemanöver zu erreichen.
[48] In diesem Fall hat die Bekl. zu 2) auch den Tatbestand des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verwirklicht.
[49] bb) Der Zeuge H hat den Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO nicht genügt.
[50] Nach dieser Vorschrift muss sich ein Fahrzeugführer (darüber hinaus) beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden un...