A. Vorbemerkung
Mehr als 1,5 Millionen Fahrzeugschäden werden fiktiv abgerechnet. Das eingeholte Sachverständigengutachten bildet die Abrechnungsgrundlage, die Reparaturarbeiten werden nicht oder nur zum Teil durchgeführt. Oft erfolgt auch eine "Billigreparatur" oder eine Reparatur in Eigenregie, vulgo: in Schwarzarbeit. Dieses Vorgehen ist rechtlich zulässig, da der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB den für die Schadenbeseitigung "erforderlichen" Geldbetrag verlangen kann.
Es obliegt seiner Dispositionsbefugnis, ob er diesen Geldbetrag ganz oder zum Teil oder gar nicht für die Reparatur des geschädigten Fahrzeuges verwendet. Es gehört zu den anwaltlichen Beratungspflichten, den Geschädigten auf die Möglichkeit der fiktiven Abrechnung hinzuweisen. Hierbei wird jedoch oft nicht bedacht, dass bei einem weiteren Unfallschaden im vorgeschädigten Bereich der Geschädigte leer ausgeht, wenn er nicht die fachgerechte Reparatur des Vorschadens beweisen kann.
Nugel hat in einer umfassenden Rechtsprechungsübersicht die Kriterien der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Vorschäden zusammengefasst. Bei einem identischen Vorschaden erhält der Geschädigte für den aktuellen Schaden keinerlei Leistungen, eine Teilleistung kommt nur dann in Betracht, wenn der Vorschaden und der aktuelle Schaden optisch und rechnerisch eindeutig abgegrenzt werden können.
B. Berücksichtigung eines Vorschadens
Bei unstreitigen Vorschäden hat der Geschädigte detailliert (§ 286 ZPO) nachzuweisen, dass die Vorschäden sach- und fachgerecht repariert worden sind. Die bloße Vorlage eines Gutachtens, eines Fotos oder ein Zeugenbeweis reichen nicht aus. Auch die Reparaturbestätigung eines Sachverständigen reicht nicht aus, da dieser im Regelfall das Fahrzeug nur in Augenschein nimmt und nicht überprüft, ob die Reparaturarbeiten entsprechend dem Sachverständigengutachten durchgeführt worden sind.
Der Geschädigte muss beweisen, dass der Vorschaden nach den Vorgaben des Sachverständigengutachtens beseitigt worden ist.
Auch wenn der Schaden vor dem Erwerb des Fahrzeuges eingetreten ist, enthebt dass den Geschädigten nicht von seiner Darlegungs- und Beweislast. Hier hat der BGH es allerdings für zulässig erklärt, die ordnungsgemäße Reparatur des Vorschadens durch Zeugenbeweis oder Sachverständigengutachten unter Beweis zu stellen.
C. HIS-Datei
Das Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft (HIS) hat am 1.4.2011 die Uniwagnis-Datei abgelöst. Aus Datenschutzgründen wurde der Betrieb der Auskunftei in eine eigene Gesellschaft ausgelagert. Auffällige oder dubiose Schadenfälle werden gespeichert. Hierzu gehören insbesondere atypische Schadenhäufigkeiten und besondere Schadenfolgen.
Über die Meldung entscheidet der jeweilige Sachbearbeiter anhand von unterschiedlichen Kriterien. Gemeldet werden unter anderem fiktive Schadenabrechnungen bei größeren Fahrzeugschäden. Es werden nur die Fahrzeugdaten gespeichert, nicht die Namen vom Halter und vom Fahrzeugführer.
Ergibt sich eine Übereinstimmung der Fahrzeugdaten eines aktuellen Schadenfalles mit den Fahrzeugdaten eines früheren Schadens, kann der Sachbearbeiter bei der HIS-Datei anfragen, welcher Versicherer seinerzeit den Schaden reguliert hat. Dieser Versicherer stellt dann im Regelfall seine Unterlagen, insbesondere das zur Schadenregulierung vorgelegte Gutachten, zur Verfügung. Der Sachbearbeiter des aktuellen Schadenfalles erhält somit Kenntnis über Art und Umfang des Vorschadens und dessen Beseitigung.
D. Schlussbetrachtung
Zu den Beratungspflichten eines Rechtsanwaltes bei Unfallschäden gehört nicht nur der Hinweis, dass der Schaden fiktiv abgerechnet werden kann. Zugleich muss der Mandant darauf hingewiesen werden, dass bei einem erneuten Unfall im vorgeschädigten Bereich der Schaden im Regelfall nicht reguliert wird, wenn die Beseitigung des Vorschadens entsprechend dem Sachverständigengutachten nicht nachgewiesen werden kann. Einige Mandanten haben sich bereits darüber beschwert, dass sie auf diesen Umstand nicht hingewiesen worden sind, da sie dann – angeblich – die Reparaturarbeiten entsprechend dem Sachverständigengutachten in einer Werkstatt veranlasst hätten.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hubert van Bühren, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Köln
zfs 4/2021, S. 193 - 194