BGB § 199 Abs. 1 § 826
Leitsatz
Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller, wenn der Fahrzeugerwerber von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat.
BGH, Urt. v. 17.12.2020 – VI ZR 739/20
Sachverhalt
Der Kl. erwarb im April 2013 einen VW Touran, der mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 (Schadstoffnorm Euro 5) ausgestattet ist. Die Bekl. ist Herstellerin des Fahrzeugs. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur in dem Prüfstand-Modus eingehalten.
Die Bekl. informierte die breite Öffentlichkeit in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber, dass der Motor EA189 mit einer Abschalteinrichtung versehen sei, die vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) als nicht ordnungsgemäß angesehen werde und daher zu entfernen sei. Auch durch das KBA wurde die Öffentlichkeit hierüber informiert. Zeitgleich war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand einer sehr umfassenden Presseberichterstattung.
Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage hat der Kl. Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen zuzüglich Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs sowie Feststellung des Annahmeverzugs der Bekl. verlangt. Die Bekl. hat Klageabweisung beantragt und die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hat es zurückgewiesen. Mit der vom BG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. sein Klageziel mit Ausnahme der Deliktszinsen weiter.
2 Aus den Gründen:
"… I. Das BG hat seine Entscheidung (10 U 466/19, veröffentlicht in juris) darauf gestützt, dass dem Schadensersatzanspruch des Kl. aus § 826 BGB die Einrede der Verjährung entgegenstehe. Der Anspruch sei bei Erwerb des Fahrzeugs im Jahr 2013 entstanden, im Jahr 2015 hätten die Voraussetzungen für eine Klageerhebung vorgelegen. Der Kl. habe den von der Bekl. ausführlich gehaltenen Vortrag, er habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von den für den Beginn der Verjährung erforderlichen Tatsachen i.S.v. § 199 Abs. 1 BGB gehabt, nicht bestritten. Deshalb sei vorliegend unstreitig, dass der Kl. im Jahr 2015 nicht nur Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal allgemein gehabt habe, sondern auch von der konkreten Betroffenheit seines Dieselfahrzeugs. Unerheblich sei, dass die Bekl. damals wie heute bestreite, dass verfassungsmäßig berufene Vertreter der Bekl. von der Verwendung der Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätten. Insoweit hätten sich seit 2015 bis zur Klageerhebung keine neuen Erkenntnisse ergeben. Angesichts des unsubstantiierten Bestreitens der Bekl. unter Berücksichtigung ihrer sekundären Darlegungslast habe die fehlende Detailkenntnis der Klägerseite vom Wissen der Repräsentanten der Bekl. um die Abschalteinrichtung einer Klage nicht entgegengestanden. 2015 habe auch keine höchstrichterliche Rspr. zur Frage, ob die Bekl. den Erwerbern von Kraftfahrzeugen mit dem Motor EA189 deliktisch hafte, der klageweisen Geltendmachung eines solchen Anspruchs entgegengestanden. Allein der Umstand, dass offene, bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfragen maßgeblich seien, mache die Klageerhebung nicht unzumutbar; der Rechtsweg diene gerade dazu, solche Fragen zu klären. Darauf, ob die Rechtslage möglicherweise nach 2015, also nach Beginn der Verjährungsfrist, unsicher oder zweifelhaft geworden sei, komme es nicht an. Auch die Herausforderungen bei der Rechtsanwendung des § 826 BGB als “kleine Generalklausel' führten nicht zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung, ebenso wenig, dass das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung von der Bekl. bestritten werde. Somit habe die dreijährige Verjährungsfrist mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen und mit Schluss des Jahres 2018, also vor Klageerhebung im Jahr 2019, geendet."
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Den Schadensersatzansprüchen des Kl. steht die von der Bekl. erhobene Einrede der Verjährung entgegen.
1. Gem. § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
a) Nach st. Rspr. des BGH ist die Kenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht r...