Den Rechtsanwalt freut's?
Am 17. Mai 2019 – unmittelbar nachdem der Bundesrat mit dem Beschluss vom selben Tag den Weg für eine Zulassung von Elektrokleinstfahrzeugen in Deutschland frei gemacht hatte – veröffentlichte der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine Pressemitteilung mit der Überschrift "E-Scooter: Bausteine einer nachhaltigen Verkehrswende". Ausgeführt wurde, dass insbesondere als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr der E-Scooter zu einer Entlastung des Straßenverkehrs führen könnte und darüber hinaus auch für Touristen ein attraktives Fortbewegungsmittel darstellen würde.
Am 27. Oktober 2021 veröffentlichte das Umweltbundesamt einen Beitrag mit der Überschrift "E-Scooter momentan kein Beitrag zu Verkehrswende"; dies insbesondere mit Verweis auf eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer (UDV: 7/2021) in Berlin und Dresden, die zu dem Ergebnis kam, dass nur 5,5 % der E-Scooter-Fahrten eine Fahrt mit dem eigenen Auto oder mit privaten Dienstanbieter ersetzen würde. Knapp 30 % der Befragten gaben demgegenüber an, sie hätten die Fahrt ohne einen E-Scooter gar nicht unternommen.
Mittlerweile sind fast drei Jahre seit dem genannten Beschluss vergangen. Der E-Scooter ist aus dem Alltag nicht mehr weg zu denken; aber auch nicht die rechtlichen Probleme in zivilrechtlicher und strafrechtlicher Hinsicht. Der Arbeitskreis VI des Deutschen Verkehrsgerichtstag 2022 beleuchtete die zivilrechtliche Haftungsproblematik. Der Arbeitskreis V des 61. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2023 beleuchtete die strafrechtliche Problematik im Hinblick auf die Nutzung von E-Scootern unter berauschenden Mitteln.
Zivilrechtlich kommt die Gefährdungshaftung nicht zum Tragen. Die Haftungssituation entspricht die bei Nutzung eines Fahrrades. Strafrechtlich ist der E-Scooter als Kraftfahrzeug einzustufen; dies mit gravierenden Folgen bei einer Nutzung ab 0,3 ‰ und mehr und Fahren von Schlangenlinien, die – als "Spaß Fortbewegungsmittel" – viele Nutzer eines E-Scooters an den Tag legen ohne aber von einem berauschenden Mittel beeinträchtigt zu sein.
Der 60. Deutsche Verkehrsgerichtstag hat empfohlen den E-Scooters der Gefährdungshaftung zu unterwerfen. Der 61. Deutsche Verkehrsgerichtstag hat empfohlen, die Regelvermutung der Entziehung der Fahrerlaubnis dahingehend zu ändern, dass diese nicht bei Fahrten mit fahrerlaubnisfreien Elektrokleinstfahrzeugen (z.B. E-Scooter) greift. Ein Fahrverbot wurde grundsätzlich für ausreichend erachtet.
Der E-Scooter ist aus dem Stadtbild nicht mehr weg zu denken, gleich ob dieser nun doch noch zu Verkehrswende beitragen wird oder nicht. Rechtlich gesehen führt der E-Scooter zu Wertungswidersprüche, die gerade in strafrechtlicher Hinsicht dem allgemeinen Rechtsgefühl widersprechen. Man könnte zwar sagen, den Rechtsanwalt freut's. Irrt der Bürger über das, was er darf, beschert's dem Rechtsanwalt Arbeit. Über einen Mangel an Mandaten im Zusammenhang mit einem E-Scooter kann sich ein Rechtsanwalt wohl auch nicht beschweren. Allerdings kommt es darauf an, dass seitens des Gesetzgebers nicht nur technische Neuerungen schnell der Weg geebnet wird, sondern auch darauf, dass dies von zivilrechtlichen und strafrechtlichen Normen begleitet wird, die für den einzelnen nachvollziehbar sind. Das Vertrauen in den Rechtsstreit ist ein sehr hohes Gut und wird nicht dadurch gestärkt, dass ein Bürger, der ab 0,3 ‰ aus Spaß an der Freude Schlangenlinien mit einem E-Scooter fährt, gleich einen Autofahrer bestraft wird; dies obwohl ein ganz anderes Gefährdungspotenzial gegeben ist. Es ist nicht angemessen, in einer solchen Situation mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Sperrfrist zu reagieren.
Dem Gesetzgeber durfte es daher gut zu Gesicht stehen, wenn er – dies möglichst rasch – bei allen Problemlagen dieser Tage das verkehrsrechtliche Tagesgeschäft nicht aus den Augen verliert und die Empfehlungen der beiden Verkehrsgerichtstage umsetzt.
Autor: Stefan Herbers
RA Stefan Herbers, FA für Verkehrsrecht, FA für Arbeitsrecht, Oldenburg
zfs 4/2023, S. 181