VVG § 81 Abs. 2
Leitsatz
Ist der VN mit dem versicherten Fahrzeug nachts mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,85 Promille in der langgezogenen Linkskurve einer Autobahnüberleitung von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt, so kann, wenn seine Darlegungen einen alkoholunabhängigen Geschehensverlauf nicht plausibel zu erklären vermögen, der Nachweis eines alkoholursächlichen schweren Fahrfehlers geführt und der VR nach den Umständen des Einzelfalles zur Kürzung der Versicherungsleistung auf Null berechtigt sein.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.10.2022 – 5 U 22/22
1 Sachverhalt
Die Kl. begehrt von dem Bekl. Leistungen aus einer Kfz-Vollkaskoversicherung.
Sie befuhr am 28.9.2019 gegen 4:00 Uhr morgens mit dem vorgenannten Fahrzeug das Autobahndreieck auf dem Übergang von der BAB 1. Das Fahrzeug kam ins Rutschen, geriet über den Grünstreifen und kollidierte dort mit einem Baum, wodurch das Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Zum Unfallzeitpunkt war es dunkel und die Fahrbahn aufgrund von Regen nass. Bei der Kl. wurde zum Entnahmezeitpunkt um 7:37 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille festgestellt.
Sie hat behauptet, sie habe, da ein anderes Fahrzeug vor ihr grundlos eine starke Bremsung vorgenommen habe, eine Gefahrenbremsung vornehmen müssen. Dabei sei ihr Fahrzeug ins Rutschen gekommen. Der Unfall sei daher nicht auf ihre Alkoholisierung zurückzuführen, sondern hätte auch einem nüchternen Straßenverkehrsteilnehmer passieren können. Anzeichen einer Alkoholisierung seien nicht zu erkennen, insbesondere sei am Unfallort eine normale Unterhaltung durch die Polizei mit der Kl. möglich gewesen.
2 Aus den Gründen:
Das LG hat der Klage zu Unrecht – nahezu vollumfänglich – stattgegeben. …
1. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des Fahrzeugschadens und der Abschleppkosten kommt … – hier nur der zwischen den Parteien bestehende Kraftfahrtversicherungsvertrag in Betracht, aus dem der Kl. gem. Ziff. A.2.5.1.1, AKB im Falle eines Unfalls i.S.v. Ziff. A.2.2.2.2, AKB ein Anspruch auf Erstattung des Wiederbeschaffungswerts abzüglich des Restwerts bei einem Totalschadens i.S.v. Ziff. A.2.5.1.5, AKB sowie auf Erstattung der Abschleppkosten unter den Voraussetzungen von Ziff. A.2.5.3.1, AKB zusteht. Der Eintritt eines Unfalls als Versicherungsfall ist ebenso unstreitig wie der Eintritt eines wirtschaftlichen Totalschadens am versicherten Fahrzeug der Kl.
2. Soweit das LG jedoch die Leistungsfreiheit des Bekl. gem. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls verneint hat, greift die Berufung die diesbezüglichen Feststellungen mit Erfolg an. Denn die erstinstanzlich durchgeführte und in zweiter Instanz zum Teil wiederholte Beweisaufnahme lässt diesen Schluss bei verständiger Würdigung ihres Ergebnisses nicht zu.
a) Ziff. A.2.9.1 AKB sieht das Recht des VR vor, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen, allerdings (nur) bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel. Damit schränken die Bedingungen der Bekl. die Regelung des § 81 Abs. 2 VVG in zulässiger Weise zugunsten des VN ein (…).
b) Grob fahrlässig i.S.v. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht lässt; wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (…). Das Führen eines Fahrzeugs im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit (d.h.: mit einer BÄK von mehr als 1,1 ‰) stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen grundlegende Verhaltensregeln des Straßenverkehrsrechts dar und ist grundsätzlich objektiv und subjektiv als grob fahrlässig anzusehen (BGHZ 190,120 = VersR 2011,1037 …). Demgegenüber muss der VR in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH VersR 1991, 289; Senat 2001, 214; zfs 2004, 323). Dabei sind die Anforderungen an die Beweiskraft entsprechender Hinweise umso geringer, je näher die Blutalkoholkonzentration an dem Grenzwert von 1,1 ‰ liegt (Senat 2004, 323;). Als typische alkoholbedingte Fahrfehler sind etwa das Abkommen von der Straße ohne "Ersichtlichen Grund" bei einfacher Verkehrssituation (Brandenburgisches LG, Urt. vom 8.1.2020 – 11 U 197/18, juris; OLG Hamm VersR 1981, 924), aber auch das deutlich verspätete Erkennen von Hindernissen oder Gefahrenmomenten und die damit verbundene verzögerte oder überzogene Reaktion des alkoholisierten Fahrers gewertet worden (vgl. die Nachweise bei Klimke in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, AKB 2015 A.2.9 Rn 52).
b) Gemessen an diesen Voraussetzungen steht auf Grundlage der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zunächst fest, dass die Kl. zum Zeitpunkt des Unfalles – ganz erheblich – alkoholisiert war, Nicht zu beanstanden ist, dass das LG eine rein dur...