I. Festsetzbarkeit der Geschäftsgebühr
Insoweit ist der Entscheidung zuzustimmen. Der VIII. ZS des BGH hat auf die Entscheidung des VII. ZS des BGH RVGreport 2006, 274 (Hansens) = NJW 2006, 2560 = AGS 2006, 357 = JurBüro 2006, 586 verwiesen, nach der die für die vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallene Geschäftsgebühr im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nicht berücksichtigt werden kann. Dies beruht darauf, dass eine vorprozessual angefallene Geschäftsgebühr nicht zu den Kosten des Rechtsstreits gehört.
II. Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren
Die Ausführungen des BGH sind in gebührenrechtlicher Hinsicht falsch. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist die Entscheidung für die Praxis eine Katastrophe. Sie bestraft die Partei, die zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens ihren Rechtsanwalt zunächst mit der außergerichtlichen Vertretung beauftragt.
1. Gebührenrechtliche Auswirkung der Anrechnung
Die Auffassung des BGH, die Verfahrensgebühr entstehe "wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG von vornherein nur in gekürzter Höhe", wird bereits durch den Wortlaut der Nr. 3100, 3101 VV RVG widerlegt. Die Verfahrensgebühr entsteht in der vom Gesetz geregelten Höhe – in erster Instanz ist dies eine 1,3 oder 0,8 Gebühr – und vermindert sich erst durch die Anrechnung. Wie der Begriff "Anrechnung" besagt, erfordert diese einen Rechenvorgang. Bei der vom BGH angenommenen gleichsam automatischen Kürzung der Verfahrensgebühr wäre auch die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG überflüssig. Dass die Auffassung des BGH falsch ist, wird auch durch die rückwärtige Anrechnung der Geschäftsgebühr belegt. Die Verfahrensgebühr müsste auch dann "von vornherein nur in gekürzter Höhe" entstehen, wenn die Geschäftsgebühr zeitlich erst nach der Verfahrensgebühr anfällt. Die Unrichtigkeit der Auffassung des BGH zeigt sich auch dann, wenn der Rechtsanwalt die ihm angefallene Geschäftsgebühr seinem Auftraggeber zum Zeitpunkt des Anfalls der Verfahrensgebühr noch gar nicht berechnet hat oder die Geschäftsgebühr seinem Mandanten auch später nicht in Rechnung stellt. Die Gebührenanrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG setzt nämlich lediglich den Anfall der Geschäftsgebühr, nicht jedoch auch deren Berechnung voraus. Über diese Auswirkungen seiner Rspr. hat sich der BGH offensichtlich keine Gedanken gemacht, er hat diese Auswirkungen wohl noch nicht einmal in Betracht gezogen.
2. Auswirkung auf das Erstattungsverhältnis
Ebenso wenig überzeugt die Argumentation des VIII. ZS des BGH, die im Innenverhältnis geltende Anrechnungsbestimmung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG wirke sich gewissermaßen automatisch auch auf das Erstattungsverhältnis zwischen Mandanten und Gegner aus. In seinem Urt. v. 7.11.2007, RVGreport 2008, 111 (Hansens) = AnwBl. 2008, 210 hatte der Senat zur Bemessung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs bei nur teilweise berechtigter Forderung ausgeführt:
Zitat
"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der den Klägern entstandene Schaden i.S.v. § 249 BGB nicht aus der "Einheitlichkeit" des Gebührenanspruchs des Rechtsanwalts hergeleitet werden. Zu unterscheiden ist das Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt einerseits und der schadensersatzrechtlichen Erstattungsansprüche im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger andererseits."
Warum dies im Kostenfestsetzungsverfahren anders zu beurteilen sein soll, führt der VIII. ZS des BGH in seinem Beschl. v. 22.1.2008 leider nicht aus. Die Entscheidung des VIII. ZS des BGH ist auch nicht mit dem Beschluss des I. ZS des BGH vom 12.12.2002, BRAGOreport 2003, 35 (Hansens) = NJW 2003, 901 = AGS 2003, 368 = AnwBl. 2003, 181 in Übereinstimmung zu bringen. In jenem Verfahren ging es um die Terminsreisekosten auswärtiger Prozessbevollmächtigter. Die erstattungsberechtigte Klägerin hatte dort argumentiert, deren Einschaltung sei deshalb sachgerecht und notwendig, weil die Rechtsanwälte bereits vorprozessual für sie tätig gewesen seien. Dieses Argument hat der I. ZS des BGH nicht gelten lassen. Er hat ausgeführt, es sei zwar wegen der Anrechnungsvorschrift des § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO kostengünstiger, diesen Rechtsanwalt auch mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Jedoch ergebe sich aus der Sicht der Gegenseite
Zitat
"keine Kostenersparnis durch Beauftragung eines auswärtigen, bereits vorprozessual tätig gewesenen Anwalts, weil diese Kosten nicht zu den Kosten des Rechtsstreits gehören und daher in keinem Fall erstattungsfähig sind".
3. Verfahrensrechtliche Auswirkung im Kostenfestsetzungsverfahren
Nach Auffassung des VIII. ZS des BGH ist
Zitat
"eine Anrechnung nicht von Amts wegen, sondern erst auf substantiierten, über eine Äußerung bloßer Vermutungen hinaus gehenden Einwand des Festsetzungsgegners zu beachten".
Dies ist einmal in dieser Allgemeinheit falsch, zum anderen praktisch auch kaum durchsetzbar.
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