StPO §§ 44 S. 1, 45 Abs. 1 S. 1, 145a Abs. 3
Nach § 145a Abs. 3 StPO ist der Verteidiger von Zustellungen, die an den Verurteilten persönlich veranlasst werden, zu benachrichtigen. Die fehlende Benachrichtigung des Verteidigers wird auch nicht durch die zusätzliche Zustellung an den Verteidiger ausgeglichen, weil sog. Doppelzustellungen nicht mit § 145a Abs. 3 StPO vereinbar sind. Versäumnisse des Verteidigers sind dem Verurteilten in der Regel nicht zuzurechnen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Siegen, Beschl. v. 2.12.2009 – 10 Qs 115/09
Das LG gewährt dem Verurteilten Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde.
Aus den Gründen: “ … II. 1. Dem Verurteilten ist gem. § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in die Frist zur sofortigen Beschwerde zu gewähren.
Der Verurteilte hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gem. § 311 Absatz 2 StPO nicht eingehalten. Diese beträgt eine Woche ab Bekanntmachung der Entscheidung. Der angefochtene Beschluss des AG wurde dem Verurteilten ausweislich Postzustellungsurkunde am 15.10.2009 durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt und damit gem. § 35 Absatz 2 Satz 1 StPO bekannt gemacht. Die Frist endete demnach mit Ablauf des 22.10.2009. Der Verurteilte hat die sofortige Beschwerde erst nach Fristende eingelegt, nämlich durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.10.2009, eingegangen beim AG am 26.10.2009. Zwar wurde dem Verteidiger der Beschluss ausweislich seines Empfangsbekenntnisses erst am 23.10.2009 zugestellt. Die bereits durch Zustellung an den Verurteilten in Gang gesetzte Frist wurde jedoch durch Zustellung an den Verteidiger nach ihrem Ablauf nicht wieder eröffnet (vergleiche Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 52. Aufl. 2009, § 37, Rn 29).
Der Verurteilte war ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten. Denn die Fristversäumnis beruht auf einem Verstoß des AG gegen § 145a Absatz 3 StPO. Danach ist der Verteidiger von Zustellungen, die an den Verurteilten persönlich veranlasst werden, zu benachrichtigen. Eine solche Benachrichtigung hat das AG unterlassen. Der Verurteilte war nicht verpflichtet, seinen Verteidiger selbst von der Zustellung zu benachrichtigen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 44, Rn 17). Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass das AG das vorgeschriebene Verfahren einhält und sein Verteidiger somit auch ohne sein Zutun rechtzeitig Kenntnis von der Zustellung und damit von dem Fristbeginn erlangt. Die fehlende Benachrichtigung des Verteidigers wurde auch nicht durch die zusätzliche Zustellung an den Verteidiger ausgeglichen. Unabhängig davon, dass sog. Doppelzustellungen ebenfalls nicht mit § 145a Absatz 3 StPO vereinbar sind, wurde die zusätzliche Zustellung an den Verteidiger so spät bewirkt, dass die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde bereits abgelaufen war, der Verurteilte also auch durch die zusätzliche Zustellung nicht mehr in den Stand gesetzt wurde, seine Verfahrensrechte effektiv wahrzunehmen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch rechtzeitig innerhalb einer Woche ab Kenntnis von dem Wiedereinsetzungsgrund gem. § 45 Absatz 1 Satz 1 StPO gestellt worden. Zwar hat der Verteidiger spätestens am 27.10.2009, als ihm das Bewährungsheft einschließlich der maßgeblichen Zustellungsdokumente zur Einsichtnahme überlassen war, von der Doppelzustellung Kenntnis erlangt, während der Wiedereinsetzungsantrag erst am 24.11.2009 bei Gericht eingegangen ist. Versäumnisse des Verteidigers sind dem Verurteilten jedoch in der Regel nicht zuzurechnen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 44, Rn 18). Anhaltspunkte, nach denen der Verurteilte im vorliegenden Fall Anlass gehabt hätte, seinen Verteidiger zu überwachen, bestehen nicht. … .”
Mitgeteilt von RA Uwe-Stephan Soujon, Finnentrop