Bei der Haftungsabwägung war davon auszugehen, dass das Vorfahrtsrecht sich auf die gesamte Breite der Fahrbahn erstreckte. Selbst bei rechtswidrigem Befahren der in seiner Fahrtrichtung linken Straßenseite hätte der Kl. nicht sein Vorrecht verloren (vgl. BGH VM 65, 27; OLG Düsseldorf NZV 1994, 328; vgl. auch BGHSt 34, 127). Da der Kl. bei Befahren der linken Straßenseite sich in einem Überholvorgang befand, er links den gleichgerichteten Verkehr zu überholen hatte (§ 5 Abs. 1 StVO), durfte er die Gegenfahrbahn benutzen (vgl. OLG Celle VRS 34, 78; OLG Düsseldorf VM 65, 90; OLG Hamm VM 75, 56). Das wäre dem Kl. nur dann verboten gewesen, wenn entweder der Kl. nicht darauf vertrauen durfte, sichtbarer Gegenverkehr werde sein Vorrecht auf der gesamten Fahrbahn nicht beachten; auf die Beachtung seines Vorrechts durch nicht sichtbare, aus einer untergeordneten Straße rechts abbiegenden Fahrzeuge durfte er vertrauen (vgl. BGH VRS 4, 162). Für ihn galt nach § 9 Abs. 3 S. 1 StVO der Vorrang des Gegenverkehr als zu erwartende Reaktion des Entgegenkommenden und rechts in die Vorfahrtstraße Einbiegenden. Aus diesem Grunde lag auch keine unklare Verkehrslage für den überholenden Kl. vor, da die bloße Möglichkeit, noch nicht sichtbarer Gegenverkehr werde das Vorrecht des Kl. nicht beachten, hierfür nicht ausreichte, das Überholen damit nicht verboten war (§ 5 Abs. 3 StVO). Unklar sind nur solche Verkehrsvorgänge, bei denen wegen des sichtbaren Verkehrsvorgangs nicht eindeutig zu beurteilen ist, welches Fahrverhalten vorausfahrende und auch sichtbar entgegenkommende Führer von Kraftfahrzeugen zeigen werden (vgl. auch OLG Karlsruhe VRS 54, 68; OLG Köln VRS 60, 222; OLG Schleswig NZV1994, 30). Da der Gegenverkehr nicht sichtbar war, schied schon deshalb eine unklare Verkehrslage aus, sodass die Haftung für die Folgen des Zusammenstoßes allein die Bekl. traf.
Bei der Zurechnung der behaupteten Schadensfolgen konnte sich der Senat – erwartungsgemäß – auf die Feststellung der Sachverständigen stützen. Schon die Dauer der Klärung der Ansprüche des Kl. von acht Jahren und die von dem Senat als gering überzeugungskräftige Verteidigung der Bekl. gegen die von dem Kl. behaupteten Bemessungsfaktoren des Schmerzensgeldes (Morbus Sudeck, Schulterluxation und posttraumatische Belastungsstörung) wertet der Senat als schmerzensgelderhöhendes evident sachwidriges Prozessverhalten mit dem Ziel und der Folge einer verzögerten Regulierung. Eine die Schmerzensgelderhöhung rechtfertigende verzögerte Regulierung setzt neben dem erhöhten Leidensdruck des Geschädigten aufgrund des ohne Klärung des Anspruchs verstrichenen Zeitablaufs zusätzlich voraus, dass besondere, dem regulierungspflichtigen Haftpflichtversicherer entgegenzuhaltende Umstände vorliegen. Allein der Umstand, dass das Gericht schließlich dem Schmerzensgeldanspruch stattgibt, sich das Verteidigungsvorbringen der Haftpflichtversicherung als nicht erfolgsversprechend herausstellt, genügt nicht, allein hieraus eine schmerzensgelderhöhende Verzögerung abzuleiten. Dass Ansprüchen entgegen getreten werden kann, ist Inhalt des auch für den Bekl. eines Rechtsstreits geltenden Justizgewährungsanspruchs, umso mehr als oft Entscheidungen des Gerichts endgültige Klarheit in Zweifelsfällen bringen (vgl. auch OLG Brandenburg zfs 2010, 141). Nur in zu der objektiven Verzögerung hinzutretenden Konstellationen kann deshalb eine Verzögerung der Regulierung als schmerzensgelderhöhend bewertet werden (vgl. auch Anmerkung zu OLG Brandenburg a.a.O.). Neben der oft offen oder durch unzureichende Vergleichsangebote gewählten Zermürbungstaktik (vgl. auch OLG Braunschweig zfs 1995; OLG Nürnberg VersR 2007, 1137; OLG Naumburg NJW-RR 2008, 693; OLG Jena VersR 2008, 1553; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1999, 2447) wird vor allem auf ein evident prozesswidriges Verhalten der Haftpflichtversicherung abgestellt (vgl. OLG Nürnberg zfs 2008, 129, 130). Die Bejahung dieser Fallgruppe lag angesichts der dezidierten Stellungnahme der Sachverständigen nahe, da sie von den Bekl. ins Blaue hinein behauptete Vortäuschungen oder psychische Dispositionen des Kl. für die behaupteten und erlittenen Schäden verneint haben.
RiOLG a.D. Heinz Diehl, Neu-Isenburg