Richtlinie 2007/46/EG Art. 46; AEUV Art. 288 Abs. 3
Leitsatz
1) Eine unzureichende Umsetzung einer unionsrechtlicher Norm, die dem Schutz individueller Vermögensinteressen von Fahrzeugkäufern diente, ist im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie nicht festzustellen.
2) Da dem Kraftfahrtbundesamt ein qualifizierter Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften bei der Erteilung der Typengenehmigung nicht vorgeworfen werden kann, scheidet auch ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch unter diesem Gesichtspunkt aus.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Stuttgart, Urt. v. 27.8.2020 – 7 O 425/19 (nicht rechtskräftig)
Sachverhalt
Der klagende Erwerber eines vom Dieselskandal betroffenen kontaminierten Kfz nimmt die beklagte Bundesrepublik Deutschland auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen des Erwerbs des Kfz in Anspruch.
Bei der Auslieferung des Fahrzeugs erhielt der Kl. die von der Herstellerin ausgestellte EG-Typengenehmigung, wonach das auszuliefernde Fahrzeug mit dem in der erteilten Genehmigung beschriebenen Typ übereinstimme. In der Motorsteuerung des Fahrzeuges war eine Software implementiert, die erkennt, ob sich das jeweilige Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand oder auf der Straße im realen Fahrverkehr befindet. Die Software war so programmiert, dass durch sie das Abgasverhalten des Fahrzeuges so gesteuert wurde, dass beim Prüfvorgang auf dem Rollenprüfstand (Modus 1) eine erhöhte Abgasrückführung aktiviert wurde, so dass die gesetzlichen Grenzwerte, insb. die NOX-Werte eingehalten wurden. Befand sich das Fahrzeug im realen Straßenverkehr, wurde aufgrund der Umschaltlogik der Modus O aktiviert, der eine wesentlich geringere Abgasrückführungsrate zur Folge hatte. Das führte mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Überschreitung der Grenzwerte der einschlägigen EU-Verordnung.
Im Rahmen der Rückrufaktion wurde das entwickelte Software-Update aufgespielt. Der Kl. hat die Herstellerin auf Schadensersatz wegen des Inverkehrbringens des abgasmanipulierten Kfz in Anspruch genommen.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerpartei die beklagte Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz auf der Basis des unionsrechtlichen Staatshaftungsrechts in Anspruch. Sie macht der Bekl. vor allem im Zusammenhang mit der Richtlinie 46/2007/EG im wesentlichen zwei Vorwürfe: Die Bundesrepublik Deutschland habe Art. 46 der RL nicht ausreichend umgesetzt und kein ausreichendes Sanktionssystem erlassen; zum anderen habe das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) eine fehlerhafte Typgenehmigung zum vorliegenden Fahrzeugtyp erlassen, da es seinen Überwachungspflichten nicht ausreichend nachgekommen sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… Die Klage ist bereits unzulässig. Sowohl Haupt- als auch Hilfsantrag sind unzulässig. Der Partei fehlt das für eine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse."
Gem. § 256 Abs. 1 ZPO kann eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kl. ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Rechtsverhältnisses hat. Dieses Feststellungsinteresse ist jedoch dann nicht gegeben, soweit dem Kl. ein einfacherer oder zumindest gleich effektiver Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels zur Verfügung steht (OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.1.2020 – 17 U 2/19, juris). Dies ist insb. dann der Fall, wenn die Erhebung einer Leistungsklage möglich und zulässig ist, wodurch der Streitstoff in einem Prozess einer endgültigen Klärung zugeführt werden kann (Zöller/Greger, “ZPO', 33. Aufl. 2019, § 256 Rn 7a).
I. Vorliegend sind die Ansprüche der Klägerpartei bezifferbar, sodass die Feststellungsanträge in Haupt- und Hilfsantrag bereits wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig sind. Der Klägerpartei ist eine auf die Zahlung von Schadensersatz gerichtete Leistungsklage zumutbar und möglich.
1. Soweit die Klägerpartei behauptet, die Schadensentwicklung sei aufgrund der unvorhersehbaren Folgen der Nachrüstung (Aufspielen eines Software-Updates auf das klägerische Fahrzeug) nicht abgeschlossen, weshalb eine Schadensberechnung zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abschließend möglich sei, kann dem nicht gefolgt werden.
Die Klägerpartei kann grds. aufgrund eines Staatshaftungsanspruchs wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Bestimmungen nach § 249 BGB das negative Interesse ersetzt verlangen. Der Schaden kann darin gesehen werden, dass die Klägerpartei durch ein haftungsbegründendes Verhalten der Bekl. zum Abschluss eines für sie ungünstigen Vertrags gebracht worden ist, den sie ansonsten nicht abgeschlossen hätte. Im Rahmen der Schadenregulierung ist die Klägerpartei dann so zu stellen, als ob es zu dem für sie nachteiligen Vertragsschluss nicht gekommen wäre (negatives Interesse), d.h. die Klägerpartei kann entweder die Rückabwicklung des Vertrags, abzüglich einer Nutzungsentschädigung für Gebrauchsvorteile, oder den Ersatz der durch die unerlaubte Handlung entstandenen Nachteile (z.B. merkantiler Minderwert) verlangen. Die Schadensentwicklung ist vorliegend abge...