Eine weitere für die Kaskoversicherung bedeutsame Fallgruppe stellt die Angabe des VN zu einer unzutreffenden Laufleistung des versicherten Fahrzeugs zum Schadenszeitpunkt dar.
1. Zur objektiven Obliegenheitsverletzung
Wenn der VN den tatsächlichen Kilometerstand seines Fahrzeugs kannte und in der Schadensanzeige trotz Belehrung über die Folgen einer falschen Auskunft eine unzutreffende Laufleistung angibt, liegt i.d.R. eine Obliegenheitsverletzung vor, die i.S.d. alten Relevanzrechtsprechung geeignet war, das Aufklärungsinteresse des VR bei der Wertermittlung des versicherten Kfz zu gefährden. Bejaht worden ist dies in der Rechtsprechung z.B. in folgenden Fällen:
- Angabe von ca. 66.000 km bei tatsächlicher Laufleistung von 80.000 km
- Angabe von ca. 82.000 km bei tatsächlich 93.000 km
- Angabe von 39.000 km bei tatsächlich 45.000 km
- Angabe von 9.000 km bei tatsächlich 12.000 km bzw. 1.400 km bei tatsächlich 2.400 km, jeweils bei einem Neufahrzeug
Kann der VR aber aus anderen, vom VN übersendeten Unterlagen den richtigen Kilometerstand erkennen (z.B. Kaufvertrag, TÜV Bericht etc.), fehlt es bereits an einer Obliegenheitsverletzung, da lediglich unklare Angaben vorliegen.
2. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
Während im alten Recht der VN sich von dem vermuteten Vorsatz einer falschen Angabe zu entlasten hatte, muss nunmehr der VR nach der Neufassung des § 28 Abs. 2 S. 1 VVG dem VN eine vorsätzliche Falschangabe nachweisen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein dolus eventualis auf Seiten des VN genügt und der VR ihm daher nur nachweisen muss, dass er die Angabe "ins Blaue hinein" getätigt hat. Hierfür reicht es aus, dass der VN in der Schadensanzeige einen Sachverhalt als feststehend darstellt, obwohl er darüber keine sichere Erkenntnis hat. Beruft er sich auf einen angeblichen Irrtum, muss dieser nachvollziehbar und verständlich dargelegt werden – selbst wenn der VN die Angaben nachträglich korrigiert.
Wenn der VN allerdings anschaulich darlegen kann, dass es sich um einen Irrtum handelt und der VR ihm daher keinen Vorsatz nachzuweisen vermag, dürfte es aber im Zweifel dabei bleiben, dass der VN die Vermutung eines grob fehlerhaften Verhaltens nicht erschüttern kann. In der Regel wird er über eine Vielzahl an Dokumenten verfügen (TÜV Berichte, Werkstattrechnungen etc.), aus denen sich zumindest eine hinreichende Schätzungsgrundlage ergibt, die er ggf. zu Rate ziehen bzw. der Schadensanzeige beifügen kann, wenn er sich im Detail mit dem aktuellen Kilometerstand nicht sicher ist. In dem Fall einer grob fahrlässigen Falschangabe des VN ist der VR nach § 28 Abs. 2 S. 2 VVG berechtigt, eine Leistungskürzung vorzunehmen, die sich an dem Verschulden des VN orientiert und sich im Zweifel auf 50 % beläuft.
3. Kausalitätsgegenbeweis und Arglist
Auch in diesen Fällen mag es dem VN gelingen, den Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Wer mit der oben zitierten Auffassung in der Literatur die Relevanzrechtsprechung weiterhin anwendet, der kommt zu dem Ergebnis, dass dem VN ein Kausalitätsgegenbeweis nicht möglich ist, wenn die Falschangabe mindestens 10 % unterhalb des tatsächlichen Kilometerstandes liegt und dadurch das Aufklärungsinteresse des VR gefährdet wird. Wer dagegen auf die konkrete Auswirkung der Falschangabe abstellt, kommt lediglich zu einer Leistungskürzung, die sich an dem Wert orientiert, um den der Wiederbeschaffungswert auf Grund der höheren Laufleistung zu kürzen ist – es sei denn, der VR kann dem VN eine arglistige Falschangabe nachweisen. Ein arglistiges Verschweigen dürfte zumindest dann nahe liegen, wenn davon auszugehen ist, dass der VN ins Blaue hinein eine Falschangabe getätigt hat.
4. Auswirkung für die Praxis
Auch hierzu ein Beispielsfall:
Der VN gibt bei einem entwendeten Fahrzeug gegenüber dem VR in der Schadensanzeige eine Laufleistung mit ca. 100.000 km an. Tatsächlich betrug die Laufleistung mindestens 115.000 km. Hieraus ergibt sich eine Wertdifferenz von 500 Euro zum Zeitpunkt des Diebstahls. Der VN lässt sich auf Nachfrage dahingehend ein, dass er die Angabe aus dem Gedächtnis heraus getätigt hätte, ohne seine Unterlagen zum Fahrzeug zu Rate zu ziehen.
Es liegt eine Falschangabe des VN zu der Laufleistung des Kfz vor, die oberhalb der "10-%-Grenze" liegt und daher geeignet ist, das Aufklärungsinteresse bei...