RVG § 8 Abs. 1 S. 1, 9, 10 § 14 Abs. 2 § 23 Abs. 1 S. 1 § 32 Abs. 1 RVG; VV RVG Nr. 2300; BGB § 675 § 666 § 667
Leitsatz
1. Der Rechtsanwalt ist nach Kündigung des Mandats vertraglich verpflichtet, erhaltene Vorschüsse abzurechnen.
2. Der Rechtsanwalt ist vertraglich verpflichtet, erhaltene und nicht verbrauchte Vorschüsse nach Kündigung des Mandats an den Mandanten zurückzuzahlen.
3. Der Rechtsanwalt ist nicht allein deshalb zur Rückzahlung geforderter und erhaltener Vorschüsse verpflichtet, weil er pflichtwidrig keine den gesetzlichen Anforderungen genügende Rechnung erstellt und dem Mandanten mitgeteilt hat.
BGH, Urt. v. 7.3.2019 – IX ZR 143/18
Sachverhalt
Der Kl. hatte die beklagte Anwaltssozietät mit der außergerichtlichen und gerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber einem Pächter beauftragt. Die der Sozietät angehörenden Anwälte sind hieraufhin vorgerichtlich und im ersten Rechtszug für den Kl. tätig geworden. Noch vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils kündigte der Kl. das Mandat mit Schreiben vom 2.8.2011. Seitdem ließ er sich durch einen anderen Prozessbevollmächtigten vertreten. Das erstinstanzliche Gericht hat in seinem Urteil den für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Streitwert auf 90.549,87 EUR festgesetzt. Im Zeitpunkt der Kündigung des Anwaltsvertrags hatte die Bekl. Vorschüsse vom Kl. i.H.v. insgesamt 5.920,25 EUR verlangt und auch erhalten. Der Kl. hatte die Bekl. vorprozessual ohne Erfolg aufgefordert, über ihre Tätigkeit eine Kostenberechnung zu erteilen.
Mit seiner am 11.12.2015 beim AG Pirna eingegangenen und der Bekl. am 4.1.2016 zugestellten Klage hat der Kl. die Rückzahlung eines Teilbetrages von 1.145,37 EUR nebst Zinsen und Kosten geltend gemacht. Wie sich dieser Betrag errechnet, lässt sich den mitgeteilten Urteilsgründen nicht entnehmen. Jedenfalls hat der Kl. sein Rückzahlungsverlangen (auch) darauf gestützt, die Bekl. könne für die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nur den von ihm zugestandenen Betrag ansetzen.
Das AG Pirna hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die hiergegen von der Bekl. eingelegte Berufung hat das LG Dresden zurückgewiesen. Die von der Bekl. dagegen eingelegte, vom Berufungsgericht zugelassene, Revision hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… [6] II. 1. Der Kl. hat aus dem zwischen ihm und der Bekl. geschlossenen Anwaltsvertrag einen Anspruch auf Rückgewähr desjenigen Teils des geleisteten Vorschusses, der die tatsächlich geschuldete Vergütung übersteigt. Die Rückzahlung derartiger Vorschüsse richtet sich nicht nach § 812 BGB. Für sie sind vielmehr §§ 675, 667 BGB mindestens entsprechend anzuwenden (BGH RVGreport 2018,150 [Hansens] = AGS 2018, 60). Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt."
[7] 2. Für ihre Tätigkeit im Vorprozess kann die Bekl. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. VV RVG Nr. 7002 sowie Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG beanspruchen. Der Gegenstandswert der Verfahrens- und der Terminsgebühr beträgt 90.549,87 EUR. In dieser Höhe hat das Gericht des Vorprozesses den Streitwert festgesetzt.
[8] a) Gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der Gegenstandswert im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend (vgl. BGH zfs 2013, 706 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 484 [Hansens] = AGS 2013,524; BGH RVGreport 2018, 150 [ders.]). Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts im Ausgangsprozess bindet das Gericht auch in einem Gebührenrechtsstreit, den der Anwalt wegen seiner Vergütung mit seinem Mandanten führt (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 23. Aufl., § 32 Rn 71; Mayer/Kroiß/Kießling, RVG, 7. Aufl., § 32 Rn 3; Riedel/Sußbauer/Potthoff, RVG, 10. Aufl., § 32 Rn 28 f). Dies gilt allerdings nicht, wenn der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit demjenigen der anwaltlichen Tätigkeit nicht entspricht. In einem solchen Fall ist der Rechtsanwalt nicht gehindert, Gebühren entsprechend seiner weitergehenden Tätigkeit gegen seinen Mandanten geltend zu machen (BGH RVGreport 2018, 150 [Hansens]). Eine solche "überschießende" anwaltliche Tätigkeit haben die Bekl. hier aber nicht behauptet.
[9] b) Die Bekl. halten die Berechnung, welche der Festsetzung des Streitwerts im Vorprozess zugrunde liegt, für offensichtlich unrichtig. Darauf kommt es nicht an. Einwendungen gegen den Streitwertbeschluss hätten im Vorprozess geltend gemacht werden können und müssen. Gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht die Festsetzung des Werts beantragen und Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen.
[10] Demgegenüber meint die Revision, der Kl. habe durch sein Verhalten die Möglichkeit der Bekl. vereitelt, ein Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Streitwerts im landgerichtlichen Urteil des Vorprozesses einzulegen. Er habe der Bekl. das Urteil zur Ke...