"… 1. Die Kl. hat gegen die Bekl. als Gesamtschuldner einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 47.093,20 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB."

Anders als das LG meint, ist von einer Alleinhaftung der Bekl. aufgrund des Verkehrsunfalls vom 27.11.2014 auszugehen. Unabhängig von der Frage, ob der Verkehrsunfall für den Zeugen K. unabwendbar i.S.v. § 13 Abs. 2 HPflG war, tritt die mangels Verschuldens des Zeugen K. allein verbleibende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem Verkehrsverstoß des Bekl. zu 2 zurück.

Im Einzelnen:

a) Der Verkehrsunfall war für den Bekl. zu 2 nicht unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG.

Ein Verkehrsunfall ist unabwendbar, wenn dieser auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Gefordert wird nicht absolute Unvermeidbarkeit, sondern ein an durchschnittlichen Verhaltensanforderungen gemessenes ideales, also überdurchschnittliches Verhalten (BGH NJW 1986, 183; OLG Koblenz NZV 2006, 201), welches sachgemäß, geistesgegenwärtig und über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausglitt, wobei alle möglichen Gefahrenmomente zu berücksichtigen sind (BGHZ 113, 164).

Der Bekl. zu 2 hätte die Kollision vermeiden können, wenn er die von ihm genutzte. Linksabbiegerspur mittig befahren hätte. Nach den – insoweit nicht angegriffenen – Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. ist der Bekl. zu 2 jedoch mit seinem Lkw-Anhänger-Gespann so weit rechts gefahren, dass er mit der rechten Außenseite sich auf der Trennlinie zwischen der Linksabbieger- und der Geradeausspur, in der die Straßenbahnschienen verlaufen, befand. Wäre er vor dem Abbiegevorgang nach links mittig gefahren, wäre es trotz des Ausschwenkens des Anhängers nach rechts nicht zur Kollision mit der Straßenbahn gekommen.

Der Bekl. zu 2 hätte die Kollision auch dadurch vermeiden können, wenn er seinen Abbiegevorgang bis zum vollständigen Passieren der Straßenbahn zurückgestellt hätte, nachdem er diese als sich von hinten nähernd wahrgenommenen hatte, da ihm bewusst war, jedenfalls als Berufskraftfahrer hätte bewusst sein müssen, dass der Auflieger beim Abbiegen ausschwenkt und er die Straßenbahn damit gefährdet.

b) Ob der Verkehrsunfall auch für den Zeugen K unabwendbar i.S.v. § 13 Abs. 3 HPflG war, kann dahinstehen, da ihm kein schuldhafter Verkehrsverstoß nachzuweisen ist und die damit allen verbleibende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem Verkehrsverstoß des Bekl. zu 2 zurücktritt (dazu nachfolgend c.)

c) Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG bzw. § 13 HPflG vorzunehmenden Haftungsabwägung hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbes. davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Zunächst ist das Gewicht des jeweiligen Verursachungsbeitrages der Kfz-Halter zu bestimmen, wobei zum Nachteil der einen oder anderen Seite nur feststehende, d.h. unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen, die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben (Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 17 StVG Rn 12). In einem zweiten Schritt sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen.

(1) Zu Lasten der Bekl. ist zu berücksichtigen, dass der Bekl. zu 2 gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO vorstoßen hat. In der obergerichtlichen Rspr. ist einhellig anerkannt, dass sich der Führer eines abbiegenden und dabei ausschwenkenden Fahrzeugs gegenüber den Verkehrsteilnehmern auf dem daneben befindlichen Fahrstreifen, in den das Fahrzeug ausschwenkt, äußerst sorgfältig verhalten muss und sicherzustellen hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Geradeausverkehrs ausgeschlossen ist (vgl. u.a. NJW-RR 2004, 1325, Rn 6; DAR 1974, 163, juris; OLG München, Urt. v. 7.7.2006 – 10 U 2270/06, juris = BeckRS 2006, 8156; NJW-RR 2010, 1184; OLG Stuttgart, Urt. v. 4.6.2014 – 3 U 15/14, Rn 7). Je länger das abbiegende Fahrzeug ist, umso größere Sorgfalt und Rücksicht auf den Verkehr ist notwendig (OLG München, a.a.O.). Der Abbiegende hat sein Vorhaben so lange zurückzustellen, bis er sicher sein kann, dass er keinen Verkehrsteilnehmer auf dem neben ihm befindlichen Fahrsteifen gefährdet (NJW-RR 2010, 1184; OLG Stuttgart, a.a.O). Er hat den Abbiegevorgang sofort abzubrechen bzw. zu unterbrechen, wenn es durch das ausschwenkende Heck zu einer Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers auf der daneben liegenden Fahrspur kommen kann (OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn 32 mit Verweis auf OLG Hamm, NZV 1994, 399). Mit äußerster Sorgfalt handelt nicht, wer mit einem Sattelauflieger so in eine Kreuzung einfährt, dass er seiner zweiten Rückschaupflicht unmittelbar vor dem Abbiegen aufgrund der Schrägstellung nicht mehr nachkommen kann, wobei die zweite Rückschaupflicht in diesen Fällen auch nicht gem. § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 StVO entfällt (OLG München, a.a.O., in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn...

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