[14] B. Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 15 % zu 85 % einen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von weiteren 3.989,41 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 342,80 EUR.
[15] I. Das Landgericht kam zutreffend zu dem Ergebnis, dass für keine der Parteien die Ersatzpflicht gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, da der streitgegenständliche Verkehrsunfall für keinen Beteiligten ein unabwendbares Ereignis darstellte. Einwände dagegen bringt die Berufung nicht vor.
[16] II. Das Erstgericht kam in Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG zu einer Haftungsquote in Höhe von jeweils 50 %. Dies kann jedoch nach Maßgabe der bindenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen keinen Bestand haben. Vielmehr entspricht eine Verteilung von 15 % zu 85 % zugunsten der Klagepartei dem Gewicht der jeweiligen Verursachungsbeiträge und der einzustellenden Betriebsgefahr.
[17] 1. Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dabei ist zunächst das Gewicht des Verursachungsbeitrags des einen und des anderen Fahrzeugs zu bestimmen (vgl. BGH, NZV 2007, 190, Rn 15). Sodann sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (BGH, NJW 2017, 1177 Rn 8).
[18] 2. Auf Seiten der Beklagten ist ein erheblicher Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO in die Abwägung einzustellen, da er aufgrund mehrerer Umstände bei unklarer Verkehrslage überholte.
[19] a) Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf, wenn also die Verkehrslage unübersichtlich bzw. ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist (OLG München, NJOZ 2021, 684 Rn 12). Dies kann beispielsweise angenommen werden bei Sichtbehinderung durch ein vorausfahrendes Fahrzeug, durch Witterungsumstände wie Blendung durch Sonne oder durch Straßenführung. Gleiches gilt, wenn die Verlangsamung der Geschwindigkeit des Vorausfahrenden in Verbindung mit der Verkehrssituation und -örtlichkeit – wie Annäherung an eine links abzweigende Straße – geeignet ist, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen. Dies ist erst recht anzunehmen, wenn das vorausfahrende Fahrzeug den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat (Heß, in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 5 StVO Rn 26).
[20] b) Eine derartige unklare Verkehrslage ergibt sich im vorliegenden Fall zum einen daraus, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen an dieser Stelle ein vollständig gefahrloser Überholvorgang aufgrund der Rechtskurve, der vorhandenen erheblichen Sichteinschränkungen durch die Randbepflanzung und des konkreten Sonnenstands sowie dem vorausfahrenden klägerischen Sattelzug mit Anhänger in dieser Situation aus technischer Sicht nicht möglich war. Dies ergibt sich gleichermaßen aus den vorgelegten Lichtbildern mit Aufnahmen der Unfallstelle.
[21] Zum anderen konnte der Beklagte zu 1) aufgrund des Fahrverhaltens des vorausfahrenden Sattelzugs nicht sicher beurteilen, wie sich der Vorausfahrende verhält. Der Zeuge H. gab glaubhaft an, dass er bereits vor dem Abbiegevorgang seine Geschwindigkeit erheblich reduziert habe. Damit korrespondieren die Feststellungen des Sachverständigen, wonach die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision mit ca. 7–10 km/h deutlich unter der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs mit mindestens 55–60 km/h lag.
[22] c) Schließlich kann im Rahmen der Beweiswürdigung der am Unfalltag vom Beklagten zu 1) gefertigte und von ihm, dem Zeugen H. und der Mitfahrerin des Beklagten zu 1) unterschriebene Unfallbericht – wonach am Sattelzug der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war – nicht außer Acht gelassen werden.
[23] Einer schriftlichen Einlassung am Unfallort kommt als nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung zu (BGH, NJW 1976, 1259; BGH, NJW 1984, 799; OLG Bamberg, VersR 1987, 1246; OLG Saarbrücken, NJW 2011, 1820). Rückt der Anerkennende später von seiner Erklärung ab, so wird er, falls nicht auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spricht, dem Richter plausibel machen ...