ZPO § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2
Leitsatz
1. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 Alt. 2 ZPO lässt die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche – soweit diese nicht auf einer Einigung zwischen den Parteien über die Tragung der prozessualen Kostenlast (Vergleich oder Kostenverzicht) beruhen – nicht zu (Bestätigung von Senatsurteil vom 16.2.2011 – VIII ZR 80/10, NJW 2011, 2368 = zfs 2011, 567 Rn 12; BGH, Beschlüsse vom 6.7.2005 – IV ZB 6/05, NJW-RR 2005, 1662 unter II 2 b und vom 14.6.2010 – II ZB 15/09, NJW-RR 2010, 1476, Rn 10; jeweils m.w.N.).
2. Ein weiter reichendes Verständnis dieser Vorschrift ist auch unter Beachtung der gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehenden Schranken für die nachfolgende Geltendmachung eines – der zuvor ergangenen prozessualen Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO entgegengerichteten – materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs des (ehemaligen) Klägers gegen den (ehemaligen) Beklagten nicht geboten. Denn eine prozessuale Kostenentscheidung lässt grundsätzlich noch Raum für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung etwa aus Vertrag, wegen Verzugs oder aus unerlaubter Handlung (Bestätigung von Senatsurteil vom 16.2.2011 – VIII ZR 80/10, NJW 2011, 2368 = zfs 2011, 567 Rn 10 m.w.N.). (Rn 14)
BGH, Beschl. v. 11.1.2022 – VIII ZB 44/21
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mieterin einer im Eigentum der Beklagten stehenden Wohnung. Den im Jahr 2013 geschlossenen Mietvertrag unterzeichnete auf Vermieterseite die Mutter der Beklagten, zu deren Gunsten ein bedingtes Nießbrauchrecht im Grundbuch eingetragen ist. Ab dem Jahr 2019 führte die Beklagte zu 4. die vorgerichtliche Korrespondenz mit der Klägerin, in der es insbesondere um die Folgen von Schimmelschäden in der Wohnung ging.
Die Klägerin leitete beim AG Grevenbroich ein Prozesskostenhilfeverfahren ein, weil sie eine Klage auf Beseitigung von Schimmelschäden sowie auf Feststellung einer Mietminderung gegen die Beklagten erheben wollte. Im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren haben die Beklagten keine Stellungnahme abgegeben. Nachdem das AG Grevenbroich der Klägerin Prozesskostenhilfe gewährt hatte und den Beklagten die Klage zugestellt worden war, haben diese erstmals vortragen lassen, sie seien nicht passivlegitimiert. Ihre Mutter sei nämlich nach wie vor nießbrauchberechtigt und deshalb auch weiterhin Vermieterin der streitgegenständlichen Wohnung. Hieraufhin hat die Klägerin die Klage zurückgenommen.
Auf den Kostenantrag der Beklagten hat die Klägerin geltend gemacht, ihr stehe jedenfalls im Verhältnis zu der Beklagten zu 4. ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch wegen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB zu. Die Beklagte zu 4. habe sich nämlich ihr gegenüber vorprozessual als Vermieterin aufgeführt. Sie – die Klägerin – habe auch nicht durch eine Einsichtnahme in das Grundbuch erkennen können, ob das Nießbrauchrecht der Mutter der Beklagten noch bestehe oder aber erloschen und daher das Mietverhältnis auf die Beklagten übergegangen sei. Deshalb sei die Beklagte verpflichtet gewesen, den Irrtum der Klägerin über die Vermieterstellung und die damit einhergehende Passivlegitimation der Beklagten bereits im Rahmen des vorgeschalteten Prozesskostenhilfe-Verfahrens aufzuklären.
Das AG Grevenbroich hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist vor dem LG Mönchengladbach erfolglos geblieben. Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Klägerin hat die Rechtsbeschwerde beim BGH eingelegt und für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Der BGH hat die beantragte Prozesskostenhilfe versagt, weil die Rechtsverfolgung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg hat.
2 Aus den Gründen:
…
[7] II. Die beantragte Prozesskostenhilfe ist zu versagen, weil die Rechtsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 Abs. 1 ZPO). Die bereits eingelegte, aber noch nicht begründete Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft. An ihre Zulassung ist der Senat gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO – unabhängig davon, ob das Beschwerdegericht die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zutreffend beurteilt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 30.1.2018 – VIII ZB 74/16, NJW-RR 2018, 524 Rn 6 m.w.N.) – gebunden. Sie wäre – bei vorläufig zu unterstellender frist- und formgerechter Begründung – auch im Übrigen zulässig, jedoch in der Sache unbegründet. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, wonach die Klägerin infolge der Klagerücknahme die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, ist aus Rechtsgründen im Ergebnis nicht zu beanstanden.
[8] 1. Nach § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ZPO trifft im Falle einer Klagerücknahme den Kläger die Kostenlast. Diese Regel ist eine Ausprägung des allgemeinen, den Vorschriften der §§ 91, 97 ZPO zugrunde liegenden Prinzips, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Nimmt der Kläger seine Klage zurück, begibt ...