Neulich bekam ich eine Klage in einer klassischen Verkehrsunfallsache mit ausschließlichem Blechschaden auf den Tisch. Zuständig war das Amtsgericht Frankfurt, in dessen Bezirk der Unfall auch passierte. Auffällig war bereits, dass der Kläger aus einem Vorort der Stadt Frankfurt am Main kam, dessen Anwaltskanzlei jedoch ihren Sitz im hohen Norden der Republik hat und eine inzwischen einschlägig bekannte "Legaltec-Lawfirm" ist. Die Klageschrift war in einem komplett blutleeren Deutsch verfasst, dem aber auch jeglicher Vortrag zu einem Unfallgeschehen und der sich daraus begründeten Haftung fehlte. Meine einzeilige Klageerwiderung "die Klage ist abzuweisen, weil sie unschlüssig ist" teilte der Richter und fordert den Kläger auf nachzubessern. Mir kam der Verdacht auf, dass sich hier eine Internetkanzlei einer KI-Software bedient hat, um die Klage zu fertigen. Solche Fälle werden uns demnächst noch mit ungeahntem Ausmaß beschäftigen. Vor allem die Amtsgerichte stöhnen über industriell gefertigte Massenverfahren in Verbraucher- und Fluggastrechteklagen. Besonders hoch ist das Aufkommen in Frankfurt, Köln und Düsseldorf. Beim Amtsgericht Frankfurt machen Reise- und Fluggastklagen ca. 45 % aller Klageeingänge aus, am Landgericht kommen noch die Dieselklagen hinzu. Nun wird beim Amtsgericht Frankfurt schon seit 2021 eine Software namens FRAUKE eingesetzt, die bei gleichgelagerten Fällen und ebensolchen Klagebegründungen Formulierungsvorschläge für ein Urteil unterbreitet. Dieser Prototyp soll laut Hessischem Justizministerium jetzt um weitere Komponenten mittels KI erweitert (und zur Vollkommenheit geführt) werden. Zwar wird beteuert, die letzte Hoheit über ein Urteil habe ein menschlicher Richter und nicht die "Amtsrichterin Frauke". Doch warum muss ich gerade bei einer solchen Beteuerung an die Büchse der Pandora denken? Denn wer die Arbeitsbelastung heutiger Richter kennt, die mittlerweile oft zusätzlich ihre eigenen Geschäftsstellen sind, so werden diese sich an das Urteilschreiben mittels KI schnell gewöhnen, es wird zur Normalität. Auch Versicherer setzen solche Software ein. KI fasst hunderte Seiten von Arztberichten in kürzester Zeit zusammen, um etwa eine Reha im Rahmen des Schadensmanagement zu empfehlen. Auch die Medizin nutzt solche KI-Systeme bereits zur Diagnose, etwa beim Hautkrebs. Die Vorstellung, dass über eine KI-Klage und der KI-Erwiderung jeweils auf der Basis von KI erstellter Beweismittel aufgrund einer mündlichen Verhandlung per Videokonferenz, an der nur noch Avatare teilnehmen, dann durch KI-Urteil entschieden wird, ist also gar nicht mehr so weite Zukunftsmusik. Solche Veränderungen sind zweifelsohne besorgniserregend. Zurzeit werden KI-Systeme noch als Arbeitserleichterung empfunden. Das liegt m.E. daran, dass überwiegend noch Menschen aus der analogen 3D-Welt mit natürlicher Intelligenz Sachverhalte analysieren, Empathie fähig sind und auf einen meist reichen Lebens- und Erfahrungsschatz außerhalb jeder Digitalisierung zurückgreifen können. Es werden aber Generationen kommen, die überwiegend in der digitalisierten 2D-Welt aufwachsen und solche Eigenschaften nie mehr gelernt haben. Neurowissenschaftler stellen bereits heute bei der Smartphone-Generation erhebliche Veränderungen in der Gehirnstruktur fest und eine daraus folgende massive Überforderung in der analogen Wirklichkeit. Gerade Fahrlehrer können bei den aktuell hohen Durchfallquoten ein Lied davon singen. Schafft sich also der Mensch und nicht nur die Anwalt- und Richterschaft, eines Tages als vollkommen überflüssig selbst ab? Durchaus denkbar! Vielleicht sollte es tatsächlich einmal einen großen Blackout geben, in dem die ganze zur Vollkommenheit erwünschte Digitalisierung zusammenbricht. Erst dann werden wir vermutlich begreifen, wie wichtig der in seiner Würde geschützte Mensch ist, der nämlich die Entscheidung treffen kann, die Büchse der Pandora gar nicht erst zu öffnen.
Autor: Andreas Krämer
RA Andreas Krämer, FA für Versicherungsrecht, FA für Verkehrsrecht, Frankfurt
zfs 6/2023, S. 301