Können die Ordnungsgemäßheit der Messung oder andere für eine Verurteilung wesentliche formale Voraussetzungen vom Verteidiger nicht mehr erfolgreich problematisiert werden und ist eine vorsätzliche Begehung vorgeworfen oder droht als Vorwurf, ist die Darlegung der Umstände, die für eine fahrlässige Begehung sprechen, die Auffanglinie der Verteidigung. Es geht dann darum, die Höhe der Sanktion für den Mandanten zu mildern und ggf. auch Rückforderungen des Rechtsschutzversicherers gegen seinen Versicherungsnehmer zu vermeiden. Dies ist häufig auch deshalb erfolgreich, weil viele (nicht alle!) erstinstanzliche Richter dazu neigen, die Beschwerdehäufigkeit ihrer Urteile durch die Annahme einer fahrlässigen Begehung zu senken.
Während bei entlastenden Umständen von fahrlässig gegangenen Taten die Aufgabe der Verteidigung darin besteht, das Gericht davon zu überzeugen, hier nicht von einem Regelfall auszugehen und so ein Fahrverbot oder einen Eintrag im Fahreignungsregister (FAER) zu verhindern, ist es bei belastenden Umständen beim Vorsatzvorwurf genau umgekehrt: Hier muss die Verteidigung bestrebt sein, die Umstände, die gegen den Betroffenen sprechen so zu relativieren, dass das Gericht noch von einem Regelfall ausgeht.
Fehlt es an Ansätzen, die noch für eine fahrlässige Begehung sprechen und droht eine Vorsatzverurteilung nach einem gerichtlichen Hinweis gem. § 265 StPO, der sich gem. § 273 StPO aus dem Protokoll ergeben muss, rät Gebhardt, den Einspruch auf die Rechtsfolge zu beschränken, um die Schuldform in Rechtskraft erstarken zu lassen. Bei manchen Gerichten muss der Verteidiger sich dann aber auf neuen Streit gefasst machen:
Fall 24: Das Gericht vertritt im Hauptverhandlungstermin unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt 23.3.2016 – 2 Ss-OWi 52/16, insbesondere Leitsatz 3) die Rechtsauffassung, dass bei einem zuvor ergangenen gerichtlichen Vorsatzhinweis, die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolge durch die Verteidigung nicht mehr relevant sei. Dabei handelt es sich allerdings um eine ungewöhnliche Rechtsauffassung, die bislang wohl von keinem weiteren OLG geteilt wird. Darauf sollte der Verteidiger auch hinweisen. Interessanterweise handelt es sich um eine Bußgeldabteilung, die als Motiv für ihre auffallend häufigen Vorsatzhinweise, die Absicht nennt, von Einsprüchen abzuschrecken.
Fall 25: Dieser Rechtsauffassung folgte eine Zeit später ein benachbartes Gericht bei einer schon im Fall 22 dargelegten Messstelle, nun bei einer Überschreitung von 34 km/h bei erlaubten 100 km/h und verurteilt, trotz der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolge, wegen einer vorsätzlichen Begehung zur doppelten Regelgeldbuße (240 EUR).
Ergeht ein Vorsatzhinweis, muss unbedingt mit dem Mandanten besprochen werden, ob der Einspruch zur Vermeidung einer Verschlechterung zurückgenommen oder der Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt werden soll. Ist der Mandant entbunden und liegen Hinweise vor, dass erst in der Verhandlung ein Vorsatzhinweis ergehen könnte, sollte das weitere Vorgehen unbedingt vorab erörtert werden. Erfolgt der Vorsatzhinweis tatsächlich erst in der Hauptverhandlung, kann ein Aussetzungsantrag gem. § 265 Abs. 3 StPO mit der Begründung gestellt werden, dass die neu vorgeworfene Schuldform erst geprüft und mit dem Mandanten erörtert werden müsse. Sollte der Vorsatzhinweis zuvor schriftlich erfolgt sein, ist die Zurückweisung des Antrags wahrscheinlich und kaum angreifbar. Die Begründung des Gerichts, ein vorheriger Vorsatzhinweis sei nicht erforderlich, da er sich nach der Aktenlage aufdränge, müsste dagegen angreifbar und so ein Fortsetzungstermin erzwingbar sein.
Je nach dem Stand der Voreintragungen ist ein auf diese Weise verzögerter Rechtskrafteintritt für den Mandanten gelegentlich die letzte sinnvolle Verteidigungslinie, um das Erreichen der Punkteschwellen vor der Ermahnung, der Verwarnung oder sogar dem Entzug der Fahrerlaubnis zu verhindern.
In Ausnahmefällen kann es sogar sinnvoll sein, eine Vorsatzverurteilung zu provozieren, weil in manchen Fällen erst die Verdoppelung der Geldbuße dazu führt, dass die 100 EUR-Schwelle für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 80 OWiG oder sogar die 250 EUR-Schwelle für die Rechtsbeschwerde gem. § 79 OWiG überhaupt genommen werden kann.